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Südafrika: Ringen um unabhängige Lehrpläne

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Seit fast einem Jahr fällt in Südafrika jeden Tag der Strom aus. Ein veraltetes Stromnetz, aber vor allem Korruption und Sabotage führen zu diesen täglichen stundenlangen Stromausfällen. Dass die hochwertige Kohle ins Ausland exportiert und im eigenen Land nur minderwertige Kohle zur Stromerzeugung verwendet wird, verschlimmert die Situation zusätzlich. Zahlreiche Betriebe mussten aufgrund des Strommangels bereits schließen; es droht der Kollaps ganzer Wirtschaftszweige. Die politische und wirtschaftliche Lage in Südafrika ist in einer schweren Krise. Dies wirkt sich auf das Bildungssystem und vor allem auch auf die Waldorfschulen des Landes aus. William Bester, langjährig Lehrer und Geschäftsführer an der Michael Mount Waldorf School in Johannesburg, arbeitet seit 2022 für die Southern African Federation of Waldorf Schools. Für uns kommentiert er die Situation in Südafrika.

Südafrika ist ein wunderbares, schönes Land mit positiven Menschen und großen Möglichkeiten für Veränderungen. Ich glaube, dass wir in dieser jungen Demokratie mit der Zeit die Nöte und Herausforderungen, mit denen unser Land derzeit konfrontiert ist, überwinden werden.

Die Herausforderungen, denen die Menschen in Südafrika tagtäglich gegenüberstehen, sind tief verwurzelt. 30 Jahre nach dem Ende des Apartheidregimes sind die positiven Veränderungen nur schwer zu erkennen. Im Jahr 1994 herrschte eine Stimmung der Hoffnung für unser Land, ein Zusammenkommen ohne Revolution. Die Infrastruktur des Landes ist jedoch zusammengebrochen, die Straßen sind marode, es kommt zu Stromausfällen von bis zu elf Stunden am Tag. Es gibt Versprechungen über internationale Investitionen, die Abhilfe in der Stromkrise schaffen sollen, aber erst in zwei bis fünf Jahren. Die staatliche Gesundheitsfürsorge ist in Auflösung begriffen und der informelle Wohnungsbau nimmt stark zu, da die Regierung den Bedarf an Wohnraum nicht decken kann. An die Stelle der Hoffnung ist Unzufriedenheit getreten, und die Behörden reagieren mit zentraler Kontrolle und Widersprüchen.

Die Bildungslandschaft in Südafrika erfährt gerade große Hindernisse. Eines der wichtigsten sind die anstehenden Änderungen des BELA-Gesetzes (Basic Education Laws Amendment Bill) mit Themen wie Schulpflicht ab dem sechsten Lebensjahr, Sprachpolitik, Impfvorschriften und Lehrplananforderungen. In der Waldorfbewegung kämpfen alle unsere Schulen damit, mit den finanziellen Anforderungen Schritt zu halten, da die Schülerzahlen sinken und die Kosten enorm steigen. Inzwischen üben die staatlichen Behörden Druck auf Schulen mit alternativen Lehrplänen aus, einschließlich der Waldorfschulen, um die staatlichen Lehrpläne einzuhalten. Diese sind extrem präskriptiv und würden es unmöglich machen, unseren einzigartigen Unterricht anzubieten. Es ist paradox, dass in einem Land mit einer fortschrittlichen liberalen Verfassung die Bildungspolitik „alt“ ist und es ihr an Weitsicht mangelt. Es scheint ein Fall von Lösungen der 1. Welt für Probleme der 3. Welt zu sein.

Die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Waldorfschulen sank von 5.300 vor der Pandemie auf 3.300 nach der Pandemie. Wir nehmen jetzt wieder neue Kinder auf, aber das Wachstum erfolgt sehr langsam. Den größten Verlust verzeichnen wir in den Kindergärten unserer Schulen. Es gibt einen allgemeinen Lehrkräftemangel im Land und einen speziellen Mangel an Waldorfpädagog:innen. Das Centre for Creative Education (CCE) in Kapstadt befindet sich ebenfalls in einer Phase des Umbruchs und der Veränderung. Ein Prozess der institutionellen Prüfung und Umstrukturierung ist im Gange, in Erwartung einer Überprüfung durch den Hochschulrat. Das CCE bietet die einzige formale Waldorflehrerausbildung in Südafrika an.

Während der Pandemie erhielten die Waldorfschulen einen Brief, in dem die Einhaltung des nationalen Kernlehrplans gefordert wurde. Dieser Brief kam von dem für die Qualitätssicherung zuständigen Institut UMALUSI, das im Auftrag des Bildungsministeriums arbeitet. Und das, obwohl das Ministerium für Grundbildung bereits eingeräumt hatte, Schulen mit alternativen und ausländischen Lehrplänen zuzulassen – eine unbeabsichtigte Auslassung in der Gesetzgebung. Wir verhandelten dieses Thema mehr als 16 Jahre lang und nun scheint es, als hätten wir keine andere Wahl, als unser Recht auf Unabhängigkeit vor Gericht zu verteidigen. Eine neue Herausforderung für Südafrika ist die Einführung eines Schulabschlusses nach der 9. Klasse. Die Auswirkungen auf die Waldorfschulen sind derzeit noch unklar. Die Zuständigkeit für Kindergärten verlagerte die Regierung vom Ministerium für soziale Entwicklung auf das Ministerium für Grundschulbildung mit enormen Auswirkungen, da nun formale Lehrpläne gesetzlich festgelegt werden.

Die Menschen in Südafrika sind nach Jahrzehnten der immer wiederkehrenden Herausforderungen und Schwierigkeiten ein widerstandsfähiges und aufgeschlossenes Volk. Die Southern African Federation of Waldorf Schools ist Partner einer starken Allianz von neun unabhängigen Schulvereinigungen (NAISA), die Lobbyarbeit betreiben und bei der Regierung vorstellig werden. Doch alles, was in der Bildungsszene anders ist, wird als „privilegiert“ angesehen. Die Gehälter der Lehrkräfte sind an den meisten Waldorfschulen extrem niedrig. Die Liebe zu den Kindern ist groß. Die aktuelle Strategie der Allianz ist darauf ausgerichtet, die Schulen in ihrer Vielfalt zu unterstützen. Ein nationales Ausbildungsprogramm für Gymnasiallehrer ist in Vorbereitung. Die Arbeit an einem Kernlehrplan für die Ausbildung von Waldorfpädagog:innen ist im Gange. Es gibt auch umfangreiche Überarbeitungen des Waldorflehrplans in unseren Schulen.

William Bester

aus: "Waldorf Weltweit", Herbst/Winter 2023/2024

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