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St. Martinsfest in Odessa 2023

News ,  Ukraine ,  Notfallpädagogik

Ein Erfahrungsbericht unserer notfallpädagogischen Koordinatorin Jessica Prentice, die für die Freunde der Erziehungskunst in der Ukraine arbeitet.

Es wehte ein bitterkalter Ostwind an dem Abend über das Schwarze Meer, als ich in Odessa bei unserer Partnerorganisation Zentrum der Künste und Begegnung zu ihrem St. Martinsfest eingeladen war. Dick eingepackt und trotzdem durchgefroren kam ich dort an, aber das warme Licht der Kerzen im Fenster geschmückt mit Weihnachtssternen und Martinslaternen erwärmten sofort zumindest die Seele. Drinnen war es warm und roch nach Bienenwach, Zimt, warmem Apfelsaft und Sternanis. Alles sehr vertraute Gerüche, die wohlige Kindheitsgefühle der Vorweihnachtszeit erweckten. Das Zentrum der Künste und Begegnung arbeitet seit Beginn des Krieges mit binnengeflüchteten Familien in Odessa. Die meisten Familien kommen aus Mariupol, Mykolaiv, dem Donbass und aus der Kharkiv-Region. Ihnen wird an dem Zentrum traumapädagogische Betreuung für die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen angeboten. Vor allem mit Aktivitäten in den Bereichen der bildenden Künste (Malen und Plastizieren), Musik, Handarbeit und Holzarbeit (Häkeln, Schnitzen und Stricken).

Worauf sie aber einen besonderen Schwerpunkt legen, ist traumapädagogisch mit den Kindern und Eltern gemeinsam zu arbeiten. Eine Psychotherapeutin bietet am Zentrum bei Bedarf individuelle Unterstützung und Betreuung an. Das Zentrum ist außerdem eine Anlaufstelle für die Überweisung zu anderen Dienstleistungen wie Mietunterstützung, Lebensmittelmarken, rechtliche Unterstützung.

Beim St. Martinsfest, bei dem ich Gast sein durfte, wurde mit Kindern und Eltern gesungen, die Geschichte von St. Martins erzählt, musiziert und rezitiert. Dann haben die Kinder altersspezifisch Laternen gebastelt, während die Eltern unter sich waren und gemeinsam Dochte gedreht, eingewachst und dann Bienenwachskerzen gerollt haben. In einer sehr bewegenden kleinen Zeremonie haben die Kinder den Eltern ihre Laternen gezeigt und diese haben den Kindern ihre Kerzen gegeben. Die Eltern zündeten die Kerzen und brachten damit Kinderaugen und Laternen zum Leuchten.

Genau in dem Moment, als sich alle Eltern und Kinder mit leuchtenden Laternen draußen versammelt hatten, um den Laternenlauf im nahe gelegenen Park zu beginnen, heulten die Sirenen des Luftraumalarms auf. Schnell wurde beschlossen, nicht in den Park zu gehen. Mit gemeinsamem Gesang im Innenhof konnte wir das Heulen der Sirenen etwas abdämpfen und den Kindern ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit vermitteln. Wir haben sozusagen versucht, den emotionalen Mantel des St. Martins um sie zu legen, bevor die Kerzen ausgepustet werden mussten, um in den Schutzraum zu gehen. Bei künstlichem Kerzenlicht wurde trotzdem noch gesungen und erzählt und dabei selbstgebackenes süßliches Brot gegessen. Das Gefühl der Gemeinschaft und der Freude überwogen in dem Moment der Angst. Der erlebte Abend war einerseits so vertraut wie aus der eigenen Kindheit und gleichzeitig so anders.

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