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Entstehungsgeschichte

Der WM-Sommer 2006

Eigentlich begann alles im Sommer 2006 bei der Fußballweltmeisterschaft. Aus zehn-tausenden Kehlen erschallt der deutsche Schlachtsong, den die Band „Die Höhner“ extra für den Event kreiert hatte, durch Stuttgarts Königsstraße. Die Stadt Stuttgart war einer der Austragungsorte der Spiele und ihr Oberbürgermeister veranstaltete als Kulturbegleit-programm ein UNESCO-Friedensfestival, zu dem er 2006 Jugendliche aus aller Welt eingeladen hatte. Das Oberhaupt der Landeshauptstadt Baden-Württembergs wusste, dass aus der Schwabenmetropole nicht nur bedeutende Industrie- und Wirtschaftsprodukte, wie die Fahrzeugmodelle von Porsche und Mercedes-Benz, die Kolbentechnik von Mahle oder elektronische Erzeugnisse von Bosch, die Welt beglückten, sondern auch, dass von der Stuttgarter Uhlandshöhe aus ein pädagogisches Modell ausstrahlte, das inzwischen weltweit in über 80 Ländern Schule macht: die Waldorfschulbewegung. Deshalb lud die Stadt auch 300 Waldorfschüler aus 16 Nationen zum Kulturbegleitprogramm der Fußballweltmeister-schaft nach Stuttgart ein. Mit der Planung, Organisation und Durchführung wurden die Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V, eine Unterstützungsorganisation der internationalen waldorfpädagogischen Bewegung beauftragt. Nach Ende der Fußballwelt-meisterschaft lud die Waldorfschule Überlingen die Waldorfjugend der Welt noch zu einer Begegnungswoche an den Bodensee ein.

Krieg im Libanon

Mitten in das internationale friedenspädagogische Event hinein platzte der israelisch-libanesische Krieg. Die Infrastruktur des Libanons wurde durch israelische Luftangriffe schwer beschädigt. Flughäfen, Brücken und Hauptverkehrsstraßen wurden größtenteils zerstört und der Süden des Landes vorrübergehend von israelischen Truppen besetzt. Die 21 Schüler der Waldorfschule in Beirut, der einzigen Gruppe von Jugendlichen mit Behinderung des Stuttgarter UNESCO-Friedensfestivals, war die Rückreisemöglichkeit in ihre Heimat verunmöglicht.

Die libanesische Jugendgruppe fand in der Stuttgarter Karl Schubert Schule eine gastfreundschaftliche Herberge und die Stadt Stuttgart scheute weder Mühen noch Kosten, um den unfreiwilligen Besuchern mit einem Non-Stopp-Programm ihren Aufenthalt erträglich zu gestalten. Die deutschen Organisatoren waren beruhigt und glücklich, die libanesischen Jugendlichen außerhalb des Kriegsgebietes geborgen zu wissen und wähnten sich sicher, dass die übrige Welt es genau so sehen würde. 

Mitnichten! Die libanesischen Partner drängten immer mehr zur Heimkehr. Die Familien der Jugendlichen bedrängten die fassungslosen deutschen Partner, auf eine baldige Heimreise der Gruppe hinzuarbeiten. Die Jugendlichen reagierten auf die angespannte Lage mit immer stärkeren, ihren individuellen Störungsbildern entsprechenden, Symptombildungen. Die Gesamtsituation wurde zunehmend instabiler. Den Hintergrund des Konflikts bildeten unterschiedliche kulturelle Werte und Traditionen: Im Libanon rückt die Familie in einer existentiellen Bedrohungslage zusammen, man versammelt sich, um gegebenenfalls gemeinsam zu sterben.

Rückführung der Jugendlichen

Schließlich entschlossen sich die Verantwortlichen der Stadt Stuttgart und der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. dem Drängen nachzukommen und die Behinderten-gruppe nach Beirut, und das hieß in den Krieg, zurückzuführen. Ausgerüstet mit einem Schutzbrief der UNESCO und nach detaillierten Absprachen mit den libanesischen Behörden und der israelischen Militärführung konnte die Jugendlichen nach einer zweitägigen Reise auf abenteuerlichen Pfaden über Syrien und den Norden Libanons unversehrt ihren glücklichen Eltern in Beirut übergeben werden. Die deutschen Begleiter wurden anschließend vom libanesischen Staatspräsidenten empfangen und ausgezeichnet. Die Rückführungs-aktion fand in den Medien Süddeutschlands und des Libanons starke Resonanz.

Was in den Medien aber nicht berichtet wurde: die deutschen Helfer erlebten im Libanon etwas, was sie bisher nur aus dem Fernsehen kannten: Krieg hautnah. Und sie trafen in den Flüchtlingslagern auf die menschlichen Opfer, die Kollateralschäden politischer Interessen: traumatisierte Kinder – verstört, bleich, apathisch, mit mattem, leerem Blick, ihrer Kindheit beraubt. Jeder Heil- und Sonderpädagoge weiß, wie verhältnismäßig einfach und nachhaltig es ist, diesen Kindern im Anfangsstadium der Traumatisierung bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse zu helfen und wie beschwerlich sich nachhaltige Hilfe zu einem späteren Zeitpunkt, an dem sich traumabedingte Symptome und Reaktionsbildungen bereits chronifiziert haben, gestalten wird. Wer traumatisierten Kindern mit pädagogisch-therapeutischen Blick in die Augen sieht, weiß, was zu tun ist. 

Die traumatisierten Flüchtlingskinder in der Waldorfschule Beirut wurden zu Geburtshelfern eines notfallpädagogischen Impulses: sie leiteten die Geburtsstunde der Notfallpädagogik auf Grundlage der Waldorfpädagogik ein.

Die Notfallpädagogik der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. wurde neben der Projektförderung und der internationalen Freiwilligendienste zu einem weiteren großen Arbeitsbereich des Vereins. In Folge von kriegerischen Auseinandersetzungen und Naturkatastrophen arbeiteten die "Freunde" mit psychotraumatisierten Kindern und Jugendlichen im Libanon (2006), China (2008 und 2013), Gaza (2009 - 2014), Indonesien (2009), Haiti (2010), Kirgisistan (2010), Japan (2011) und Kenia (2012 – 2013), Philippinen (2013-2015), Kurdistan-Irak (2013-2015) Bosnien und Herzegowina (2014) und Nepal (2015). Eine vollständige Übersicht aller notfallpädagogischen Interventionen der "Freunde" finden Sie unter Einsätze.

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