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“Das Leben hat sich wieder Platz geschaffen auf der Insel”

Nachsorge-Einsatz auf Providencia nach dem Wirbelsturm

Ein persönlicher Erfahrungsbericht von Cecilia Gomez

“Als unser Notfallpädagogik-Team im Dezember 2020 zum ersten Einsatz auf Providencia ankam, war der Anblick erschütternd: Die Insel sah aus, wie ein kahler Berg mit abgedeckten Häusern. Überall lagen Trümmer und die Palmen waren aus der Erde gerissen. Es gab keinen einzigen Menschen auf der Insel, der nicht von den Auswirkungen des Wirbelsturms betroffen war. In ihren Gesichtern waren Tränen und verlorene Blicke zu sehen.

Ein Betroffener sagte: „Gott hat die Insel in seine Hände genommen und sie geschüttelt, damit die Menschen aufwachen, damit ihnen bewusst wird, dass sie vieles falsch gemacht haben und ihr Verhalten ändern müssen. Gott hat ihnen aber auch eine zweite Chance gegeben.”

Damals beschlossen wir, zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukehren und den Menschen mit neuer Kraft die nötige Unterstützung und weitere direkte Hilfe anzubieten. Am 18. März 2021 war es so weit: Das kolumbianische Jugendamt (ICBF) hatte die Erlaubnis für unseren Einsatz erteilt und wir konnten erneut nach Providencia aufbrechen.

Schon der Blick aus dem Flugzeug ließ uns Hoffnung schöpfen. Die Insel war wieder grüner, einige Häuser hatten ein neues Dach und die Trümmer waren verschwunden. Es war zu sehen, wieviel Arbeit von unterschiedlichen Hilfsorganisationen in die Säuberung und den Wiederaufbau investiert wurde. Das Leben hatte sich wieder Platz geschaffen auf der Insel. Die 43 jährige Inselbewohnerin Gina besitzt eine kleine Unterkunft für Gäste. Sie lebt mit ihrem behinderten Bruder, ihrer uralten Mutter, einem 14jährigen Adoptivbruder, ihrer neunjährigen Tochter und einer Enkeltochter in einem kleinen Häuschen und versorgt die ganze Familie. Wie sie den Wirbelsturm überlebt hat, wollte sie mit uns teilen:

Am Abend des Sturms entschied Gina, ihre Mutter in einer stabileren Unterkunft unterzubringen. Vor Sonnenuntergang kamen Polizisten und halfen dem Bruder, die alte Frau dort hin zu begleiten. Mit jeder Stunde wurde der Sturm stärker. Um Mitternacht wurde das Dach von Ginas Haus abgerissen. Sie packte ihre kleine Tochter in eine Decke und kämpfte sich mit aller Kraft durch den Sturm bis zur Unterkunft, wo sie die Kinder nach und nach an ihre Mutter übergab. Als sie zum letzten Mal an ihrem Haus ankam, war auch schon die Tür abgerissen, die Küche war durcheinander gewirbelt und überall hatten sich die Möbel und Gegenstände verteilt. Als endlich alle in der Unterkunft bei ihrer Mutter versammelt waren, baten sie zusammen um Gnade, aber der Sturm hörte nicht auf. Zusätzlich hatte der starke Regen bereits alles durchnässt und durch einen Riss in der Wand konnten sie sehen, wie ihr Haus auf der anderen Seite der Straße vollständig auseinandergerissen wurde. Nach Stunden des Leidens zog der Wirbelsturm endlich ab und vor ihrem Augen erschien ein erschütterndes Bild der Zerstörung.

Aus den Trümmern kam plötzlich wie aus dem Nichts ein alter Mann, der im Haus nebenan wohnte. Auch er hatte den Wirbelsturm überlebt. Sie schauten sich schweigend in die Augen und begannen zu weinen. Was war mit den anderen passiert? Hatten sie überlebt? All die Kinder, die Freunde und die Nachbarn? Mit diesen Fragen zogen sie über die Insel um nachzusehen, wer noch am Leben war. Die Suche gestaltete sich äußerst schwierig, da überall Trümmer, kaputte Bäume, Möbel und tote Tiere lagen. Es regnete immernoch stark aber sie kämpften sich gemeinsam durch die dystopische Landschaft. Schließlich fanden sie heraus, dass zwei alte Männer beim Versuch, andere zu retten, getötet worden waren. Die anderen Inselbewohner*innen hatten alle überlebt. Wie es zu so wenigen Toten kommen konnte in einer Nacht, in der die gesamte Insel verwüstet wurde, ist unerklärlich.

Die vielen bunten Häuser gibt es nun nicht mehr. Dafür entstehen neue Gebäude, welche die Kraft eines solchen Sturms hoffentlich überstehen können. Das Meer der sieben Farben -wie es in Providencia genannt wird- mit seiner ganzen Unterwasserwelt scheint immer noch hell und lädt uns ein, uns von ihm inspirieren zu lassen und die Schönheit der Natur treibt das neue Leben voran."

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