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Südamerika Oktober und November 2016

Auslandsgruppen Südamerika

Einen wichtigen Schwerpunkt der Arbeit der Freunde im Bereich Notfallpädagogik bildet die Fort- und Weiterbildung lokaler Fachkräfte. So soll das weltweite Netzwerk von notfallpädagogischen Einsatzgruppen gestärkt werden, die im Katastrophenfall in der Lage sind, schnell zu helfen und sowohl alleine als auch in Zusammenarbeit notfallpädagogische Kriseninterventionen vor Ort durchzuführen. In verschiedenen Städten entstanden inzwischen Initiativen mit eigenen notfallpädagogischen Gruppen (Landesgruppen).
Im Oktober und November fanden erneut Schulungen in Chile, Kolumbien und Brasilien statt, um die Mitarbeiter und Interessierte vor Ort weiter zu bilden.


Bereits vor 6 Jahren reisten zum ersten Mal Teams zu notfallpädagogischen Fortbildungsreihen nach Südamerika. Die Schulungen fanden in Zusammenarbeit mit verschiedenen lokalen und internationalen Partnern statt.
„Gut geschulte Notfallteams in der Region sind notwendig, um die Reaktionszeit im Krisenfall zu verkürzen. Nur so kann schnelle, professionelle und umfassende Hilfe geleistet werden.“, sind sich die Projektverantwortlichen der Hilfsorganisationen einig. Der Kontakt zwischen den Organisationen wurde meist über ihre Mitgliedschaft bei Aktion Deutschland Hilft hergestellt.

Wie erfolgreich das Modell der Landesgruppen ist und wie wichtig und hilfreich ein funktionierendes Netzwerk vor Ort ist, zeigte sich dieses Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in Ecuador. Hier fand ein notfallpädagogischer Einsatz statt, bei dem das Team erstmalig hauptsächlich aus lokalen MitarbeiterInnen bestand. Acht der zwölf Teammitglieder leben und arbeiten in Brasilien, Argentinien, Kolumbien und Chile. Der Einsatz lief nicht zuletzt aufgrund der Professionalität und Verlässlichkeit der südamerikanischen Kollegen und Kolleginnen so reibungslos und gut ab. Zudem wurde der Einsatz der lokalen MitarbeiterInnen weitestgehend aus südamerikanischen Spenden finanziert.

In Brasilien wurde dieses Jahr zudem ein eigener Notfall-/Waldorfpädagogischer Verein gegründet. Die zughörige Urkunde wurde Bernd Ruf feierlich im Rahmen der diesjährigen Notfallpädagogik-Jubiläumstagung von Reinaldo Nascimento, Freiwilligendienst-Koordinator der Freunde in Brasilien sowie Gründer des brasilianischen Vereins, übergeben.
Bereits 2011 waren die Teilnehmer des Seminars in Rio begeistert. Es folgten weitere Workshops, die Notfallpädagogik wurde immer bekannter. Zudem nahm Reinaldo Nascimento an zahlreichen internationalen Einsätzen teil, was zum einen die Kompetenz im brasilianischen Notfallpädagogik-Team erhöhte und zum anderen auch die Popularität weiter steigerte. 2014 wurde dann der Entschluss gefasst, einen eigenen Verein zu gründen. Die Landesgruppe möchte dadurch eigenständiger werden und sich zunehmend selbst verwalten und finanzieren. Der Verein soll es vor allem potentiellen südamerikanischen Spendern leichter machen.  Naturgemäß ist die persönliche Nähe und Verbundenheit mit regionalen Einrichtungen einfach größer als mit Partnern in Übersee.

Im Moment besteht das Team aus 7 Mitarbeitern, die ehrenamtlich tätig sind.
Der Plan für die Zukunft ist, dass ein oder zwei von ihnen fest angestellt werden können. Organisationen wie die Mahle-Stiftung und das Waldorfinstitut unterstützen die Gruppe, auch mit General Motors wurde bereits zusammen gearbeitet. Weitere Gespräche mit potentiellen Partnern laufen, eine Kooperation mit der Software AG sowie ein Seminar für Anwälte ist geplant.
In der kommenden Zeit wird vermutlich auch die Arbeit mit Erwachsenen mehr in den Fokus der lokalen Notfallpädagogen rücken. Es gibt hierfür bereits gute Erfahrungen, auch was die Zusammenarbeit mit Ärzten und anderen Institutionen angeht.

Kolumbien - Kinder ohne Kindheit

Integration von Ex-Kindersoldaten durch die Notfallpädagogik

 

Das Leben vieler Menschen in Kolumbien ist von Gewalt, Vertreibung und sozialer und seelischer Not bestimmt. Der Jahrzehnte andauernde Bürgerkrieg hat schwere Folgen in dem südamerikanischen Land hinterlassen. Nach langwierigen Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und den revolutionären Streitkräften (FARC) wurde im Dezember 2016 ein Friedensvertrag beschlossen. Ein Resozialisierungsprozess von Ex-Kindersoldaten kann beginnen. Die Notfallpädagogik der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. berät die kolumbianische Regierung und unterstützt zivilgesellschaftliche Akteure in dem Prozess einer psychosozialen Stabilisierung der Menschen und vor allem von traumatisierten Kindern und Jugendlichen.

Kolumbien lebt seit mehr als 50 Jahren mit der brutalen Gewalt des Bürgerkriegs. Der blutige Kampf zwischen linksgerichteten Guerillatruppen, rechtsgerichteten paramilitärischen Gruppen und kolumbianischem Militär bringt die Zivilbevölkerung in enorme Bedrängnis: Bewaffnete Angriffe und die Angst vor Entführungen vertreiben viele Familien aus ihren Heimatorten. Der ständige Terror führt bei vielen Kindern zu Ängsten und Alpträumen. Die Traumatisierung ist groß. Ein Drittel der zivilen Opfer durch Landminen sind Kinder.

In Kolumbien werden bis heute auch Jungen und Mädchen als Soldaten missbraucht: Rund ein Viertel aller Kämpfer sind Kinder und Jugendliche. Viele von ihnen werden mit Waffengewalt zwangsrekrutiert. Andere schließen sich aus Not den Truppen an. Sie stammen aus armen, oft zerrütteten Familien und suchen verzweifelt nach einer Perspektive. In der Hoffnung auf ein besseres Leben, haben sie gekämpft und wurden gequält, geschlagen und missbraucht.

Die wichtigste Konfliktursache war und ist das große soziale Gefälle zwischen Arm und Reich und damit verbunden die extrem ungleiche Verteilung von Landbesitz, was eine starke Landflucht zur Folge hat. Ein Großteil der Bevölkerung lebt in den Städten, viele von ihnen unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen. Die Zahl der gewaltsam aus ihren Dörfern vertriebenen Menschen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Derzeit gibt es ca. 30.000 Kinder, die dauerhaft auf der Straße leben. 68% der kolumbianischen Kinder leben in Armut, ebenso viele werden misshandelt, ein Drittel hat keinen Zugang zu Schulbildung.  Der Drogenhandel bietet allen bewaffneten Gruppen eine Finanzierungsquelle.

Seit Ende 2012 verhandeln die Konfliktparteien über ein Friedensabkommen. Vertreter von FARC und Regierung haben im Dezember 2016 einen Friedensvertrag beschlossen. Der Krieg scheint zu Ende, doch die Narben sind noch lange nicht verheilt. Die Kinder sind schwer traumatisiert von ihren Erlebnissen und haben keine Perspektiven, werden sie nicht ganz gezielt unterstützt, ihre schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten. Ein Reintegrationsprozess muss jedoch schnell vorangetrieben werden, damit sich diese Kinder und Jugendlichen nicht aus Perspektivlosigkeit kriminellen Banden wie beispielsweise den BACRIM anschließen, deren Kerngeschäft aus Drogenhandel besteht.

Für das Bildungsministerium, den Zivilschutz des Innenministeriums und zivilgesellschaftliche Akteure geht es nun um die Frage der Integration von ehemaligen Kindersoldaten in die Gesellschaft. Viele Ex-Kindersoldaten bilden Banden. Sie haben nie eine Schule besucht, ihr Leben war von Vernachlässigung, Erpressung und Instrumentalisierung geprägt sowie von dem Verlust naher Freunde oder Familienmitglieder. Sie kennen keine friedlichen Handlungsoptionen. Neben den psychischen Schäden, die diese Erfahrungen mit sich bringen, verfügen diese Kinder und Jugendlichen in der Regel über keine Konfliktbewältigungsstrategien. Nicht selten werden sie selbst vom Opfer zum Täter – sie werden kriminell und zerstören damit sich selbst.


Notfallpädagogik für Brandopfer

2013 reiste der Begründer der Notfallpädagogik Bernd Ruf erstmalig nach Kolumbien, um Pädagog_innen, ehrenamtliche Helfer_innen und Eltern für einen fachgerechten Umgang mit Symptomen und Folgestörungen von Kriegs- und Flucht-bedingten Traumata zu sensibilisieren, zu qualifizieren und sie in notfallpädagogischen Methoden zu schulen. Eine Ärztin und eine Krankenschwester, die am Universitätsklinikum Cali in der Abteilung für Brandopfer tätig sind, berichteten von den schweren seelischen Folgen von Brandverletzungen von Kriegsopfern. „Die Schmerzen, die Verzweiflung und die seelischen Wunden der Kinder und Jugendlichen mit Brandverletzungen ist grenzenlos“, berichtet die Ärztin. Für sie war nach der Teilnahme an dem Seminar sofort klar, dass in ihrer Klinik eine notfallpädagogische Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit thermischen Verletzungen unabdingbar sei.

 

Seither finden auf der Station für Brandopfer ein- bis zweimal pro Woche notfallpädagogische Angebote zur psychosozialen Stabilisierung der Kinder und Jugendlichen statt. TherapeutInnen, PädagogInnen, PsychologInnen und ÄrztInnen bieten verschiedene Stabilisierungsangebote an. Mittels kreativ-künstlerischer Ausdrucksformen soll den Betroffenen ermöglicht werden, ihr Erlebtes nonverbal auszudrücken. Durch erlebnispädagogische Übungen sollen das Vertrauen in sich selbst, aber auch das Vertrauen zu Anderen wieder hergestellt werden. Durch die notfallpädagogischen Maßnahmen sollen mögliche biografische Spätfolgen, wie z.B. die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsreaktion verhindert oder zumindest abgemildert werden.

 

Die kontinuierliche notfallpädagogische Begleitung von Verbrennungsopfern mündete in einer 12-monatigen Evaluation der durchgeführten notfallpädagogischen Maßnahmen. Die Ergebnisse waren sehr gut: Nicht nur auf die Psyche der Kinder und Jugendlichen, sondern auch auf die Wundheilung wirkte sich das Programm äußerst positiv aus. Die Kinder, die an den notfallpädagogischen Maßnahmen teilgenommen hatten, erholten sich schneller von ihren Verbrennungen. Die durchgeführten pädagogischen Methoden helfen damit nachweislich, den Stress des Traumas abzubauen, die Resilienzkräfte zu stärken und den Heilungsprozess zu fördern. Nach diesen positiven Ergebnissen wurde das Projekt auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Cali ausgeweitet. Darüber hinaus soll die Notfallpädagogik als Methode ebenfalls auf einer Station für Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche eingeführt werden. Weitere Schulungen durch die Notfallpädagogik sind geplant.

 

Integration und Beschulung von Ex-Kindersoldaten

 

Neben den zivilgesellschaftlichen Akteuren, die die Notfallpädagogik in ihr Betreuungs- und Versorgungsprogramm von verletzten Kriegsopfern und traumatisierten Kindersoldaten aufgenommen haben, ist auch die kolumbianische Regierung auf die notfallpädagogischen Angebote der deutschen Organisation aufmerksam geworden. Das Bildungsministerium lud den Notfallpädagogen Bernd Ruf ein, auf einer Tagung in Medellin 250 Lehrer_innen im Umgang mit traumatisierten Kindersoldaten und Kindern und Jugendlichen, die sich in kriminellen Banden organisieren, zu schulen. Hier standen vor allem Fragen zu einer adäquaten pädagogischen Reaktion im Mittelpunkt: Wie kann ein Umgang mit Kindern aussehen, die in ihrem Leben nur Gewalt als Lösungskonzept erfahren haben? Welchen Beitrag können Lehrer_innen in dem Resozialisierungsprozess der Kinder und Jugendlichen leisten? In mehreren Workshops wurden die möglichen notfallpädagogischen Handlungsweisen anschließend vertieft.

 

Auch einer Einladung des Innenministeriums war Bernd Ruf gefolgt,  um Polizist_innen und Feuerwehrleute in ihrer Aufgabe, den Reintegrationsprozess von Kindersoldaten mitzugestalten, zu unterstützen.

 


Notfallpädagogik ist pädagogische Akuthilfe

 

Die Anzahl der Kinder ist groß, die Opfer von Unfällen, Naturkatastrophen, Gewalt, Misshandlung, Missbrauch, Verlusterlebnissen und kriegerischen Ereignissen werden. Jede Minute verlieren Kinder ihre Eltern, werden geschlagen, verletzt, misshandelt und missbraucht. Wenn sich ein schreckliches Erlebnis ereignet und die Seele des Kindes verwundet wird, kann das weitreichende Konsequenzen haben. Massive Verunsicherung ist die Folge.

 

Die Notfallpädagogik versteht sich als pädagogische Erste Hilfe auf Grundlage der Waldorfpädagogik.
Notfallpädagogische Interventionen versuchen den betroffenen Kindern und Jugendlichen durch stabilisierende Maßnahmen bei der Verarbeitung ihrer traumatischen Erfahrung zu helfen. Durch die  Gewährung von Schutz und Sicherheit, dem Aufbau verlässlicher Beziehungen, durch die Erfahrung von Selbstwert, Selbstkontrolle und Selbstwirksamkeit und die Verringerung von Belastungen sowie  dem Aufbau einer heilenden Gruppenatmosphäre soll die Gesamtkonstitution des Kindes gestärkt und seine Selbstheilungskräfte aktiviert werden. Ziel ist es, die traumatische Erfahrung in die Biografie zu integrieren und so der Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung entgegenzuwirken.

Waldorfpädagogik als ganzheitliche und am Kind orientierten Pädagogik mit globaler Dimension, erscheint - unterstützt von spezifischen künstlerischen Therapieformen - besonders geeignet, als Grundlage für notfallpädagogische Interventionen zu  dienen. In gestalteten Unterrichts- und Spielphasen, im Freispiel und in Phasen kreativ-künstlerischer Gestaltung sollen durch das Trauma verschüttete personale Ressourcen freigesetzt und aktiviert werden. Ein rhythmisch gestalteter Tagesablauf, geregelte Essens- und Schlafenszeiten, Ruhe- und Aktionsphasen sollen den Kindern und Jugendlichen einen neuen Orientierungsrahmen, Sicherheit und Halt geben, und so sicherheitsvermittelte Beziehungen, Vertrauen und Selbstvertrauen, neues Weltinteresse und altersentsprechende Eigensteuerung und Eigenverantwortlichkeit aufbauen und fördern.

 

 

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