Freiwilligendienste | Notfallpädagogik
+49 (0)721 20111-0
Waldorf weltweit | WOW-Day | Patenschaften
+49 (0)30 617026 30
Home: Freunde Waldorf

Von Märchen, Mut und Brüderlichkeit

Eine der jüngsten ungarischen Schulen ist die 2003 gegründete Fehérlófia Waldorfschule in Nemesvámos, einem Dorf mit 3000 Einwohnern unweit des Plattensees. Heute hat sie vier Klassen mit 49 Kindern – und ein engagiertes Kollegium.

Es war einmal, jenseits des großen Meeres, ein weißes Pferd. Dieses weiße Pferd bekam einen Sohn, den es sieben Jahre lang säugte, dann sagte es zu ihm: "Mein Sohn, siehst du diesen großen Baum?" "Ja, ich sehe ihn." "Klettere hinauf und zieh seine Rinde ab!"Der Junge kletterte hinauf und versuchte, dem Wunsch des weißen Pferds zu folgen, aber er konnte ihn nicht erfüllen. Da säugte seine Mutter ihn weitere sieben Jahre lang und ließ ihn auf einen noch höheren Baum klettern, um die Rinde abzuziehen. Diesmal gelang es dem Jungen. Da sagte das weiße Pferd:"Mein Sohn, ich sehe schon, dass du stark genug bist. Dann zieh hinaus in die Welt, ich werde sterben." So starb das Pferd, und der Sohn zog hinaus in die Welt.

Unsere Schule trägt den Namen der Hauptfigur dieses Volksmärchens - Fehérlófia, "Sohn des weißen Pferdes", der in die Welt hinaus zieht, die Oberwelt und die Unterwelt besucht, mit dem Drachen kämpft und schließlich die schöne Königstochter und das halbe Königreich gewinnt.

Die siebenjährigen Entwicklungsstufen der Kindheit sind auch die Grundlage der Waldorfpädagogik. Das Märchen beschreibt im Bild den Lebensweg des Einzelnen und auch den einer geistigen Gemeinschaft. Es gibt viele Schwierigkeiten, Misserfolge, aber das Ende unterliegt keinem Zweifel. Das Böse kann über das Gute, das Göttliche, nicht triumphieren.

Als wir den Plan einer Schulgründung faßten, taten wir dies geführt von unseren Herzen. Später wurde das Unbewusste immer mehr durch Bewusstheit abgelöst. In dieser Zeit hatten wir darauf zu achten, dass die Kraft unserer Herzen erhalten blieb. Heute verstehen wir immer klarer, dass wir den Drachen nicht in der Höhle oder unter der Erde, sondern in unseren Seelen suchen sollen.

Fehérlófia weiß genau, was er will, aber seine Taten sind auch voll von der Wärme seines Herzens, und kraftvoll kann er seine Vorstellungen verwirklichen: Das Ideal der Einheit von Denken, Fühlen und Wollen. Wir wissen, dass wir uns um diese Einheit bemühen müssen, wenn wir unsere Kinder in diesem Geiste erziehen wollen.

Auch in Ungarn werden heute Schulen geschlossen, alles wird als wirtschaftliche Frage betrachtet. Deshalb verlangt heutzutage eine Schulgründung besonders viel Mut. Aber wenn der Glaube und die Beherztheit dazu da ist, kommt Hilfe im rechten Moment. Als wir in der Gründungsphase geistige Verstärkung brauchten, tauchte eine ungarische Familie aus Kanada auf. Als dann rechtliche Fragen drängten, fanden wir ein Ehepaar, das schon Erfahrung mit Schulgründungen hatte. Und unmittelbar vor den Bauarbeiten nahm ein Vater und Unternehmer die neuen Aufgaben voller Begeisterung in seine Hand...

Wir glauben, dass die Waldorfschulen eine historische Aufgabe bei der sozialen Erneuerung der Gesellschaft haben, und bemühen uns besonders um die Idee der sozialen Dreigliederung. Wir wissen, dass wir noch weit entfernt vom Ideal sind. Aber wir wissen auch, dass eine Waldorfschule, die sich nicht um die soziale Dreigliederung bemüht, auf etwas verzichtet, durch das sie sich gerade als Waldorfschule bezeichnen kann. Denn ohne die entsprechende soziale Umgebung kann sich auch die Pädagogik nicht voll entfalten.

"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!" Wunderschöne Schlagwörter, aber wenn wir sie nicht mit Inhalt füllen, sind sie nur leere Phrasen. In wirtschaftlicher Hinsicht ist uns das Prinzip der Brüderlichkeit besonders wichtig. Die finanzielle Unterstützung der Schule basiert auf freiwilligen Zuschüssen der Eltern. Wir informieren die Familien über die notwendige Unterstützung, und die Familien geben ihre Angebote ab – abhängig von ihrer Situation und unabhängig davon, wie viele Kinder die Schule besuchen. Wäre am Ende die Gesamt-Unterstützung zu gering, müßten wir um neue Angebote bitten. Bis heute war dies aber noch nicht notwendig.

Zu Beginn stellte uns die Selbstverwaltung des Dorfes Gebäude zur Verfügung. Diese sind inzwischen zu klein geworden. Damit unsere Schule wachsen kann, hoffen wir auch auf die brüderliche Hilfe der internationalen Waldorfgemeinschaft. Am dringendsten brauchen wir Schulmöbel!

Wir wollen auch immer bewusster den Kontakt mit den Waldorfschulen anderer Länder suchen. Innerhalb unserer Möglichkeiten empfangen wir gerne Gruppen und Klassen aus dem Ausland.

Daß unser Weg der richtige ist, erleben wir vor allem an unseren Kindern, die ihre Schule lieben. Neulich mußte ein Mädchen am Blinddarm operiert werden. Sie hatte Schmerzen und Angst. Ein Arzt wollte sie trösten: "Sei nicht so traurig. Wenigstens brauchst du erstmal nicht in die Schule!" Da begann das Mädchen zu weinen. Zwischen dicken Tränen konnte man kaum die Antwort hören: "Aber ich geh’ doch gerne zur Schule!"

Am Schluss soll ein kleiner Teil des geistigen Fundaments stehen, das wir am Johannestag 2005 bei der Grundsteinlegung des neuen Schulgebäudes in die Mauer gaben:

"Wir glauben, dass die Zukunft der Menschheit sich von der Liebeskraft Christi ernährt. Wir streben danach, immer mehr von dieser Kraft zu empfangen, um unsere Gemeinschaft und Schule auf diese Kraft zu gründen und durch sie nicht nur eine Gemeinschaft und Schule, sondern auch ein Heiligtum zu bauen. Ja, so soll es sein!"

Zoltán Krivácsy

Jetzt fördern & spenden
Jetzt fördern & spenden