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Colegio Yeccan Waldorf in Guanajuato, Mexico

Guanajuato ist sicher eine der dramatischeren Schauplätze für eine Waldorfschule. Die hochgelegene regionale Hauptstadt von 140.000 Einwohnern, fünf Autostunden nördlich von Mexico City, wurde Mitte des 16. Jahrhunderts gegründet  und mit Hilfe der Reichtümer ihrer Minen erbaut, die drei Jahrhunderte lang ein Drittel des weltweiten Silbers produzierten. 1988 wurde Guanajuato zu einem UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Das pittoreske koloniale Zentrum der Stadt, steil gewundene Straßen und Tunnel, eine Universität mit 30.000 Studenten, Handwerk, Traditionen und jährliche internationale Kunstfestivals bieten Waldorfschülern, Lehrern und Familien eine inspirierende physische und kulturelle Umgebung.
(übersetzt aus: Renewal, A Journal for Waldorf Education, 2/2007).

Jeden Morgen kommen Schüler aus allen Richtungen und auf verschiedenste Weise an den Toren des Colegio Yeccan Waldorf an – mit dem Auto, mit Taxi, mit der Seilbahn, die vom alten Zentrum her den steilen Hügel hinauffährt, und zu Fuß, durch die unterirdischen Tunnel, die die Stadt durchziehen. Das jetzige Schulgelände am Hang über der Stadt mit seinem weiten Blick über die umliegenden Berge wurde kürzlich um ein neues Grundstück jenseits der Straße erweitert. Dies bietet mehr Klassenräume für die 107 Schüler und 17 Lehrer.

Die Schüler sind vor allem Kinder von Lehrern und Professoren, Regierungsarbeitern, Selbstständigen, Händlern und Eltern, die in die lebendige Kunstwelt der Stadt involviert sind – sie alle suchen eine Alternative zu Mexikos traditionellem, überregulierten öffentlichen Bildungssystem. Das Curriculum ist in Spanisch, aber Englisch und Deutsch werden von zweisprachigen Lehrern und Mitarbeitern aus Deutschland unterrichtet, die hier ein Jahr alternativ zum Militärdienst verbringen.

Jedes Jahr kommt ein kleiner Prozentsatz von Schülern von ausländischen Familien oder Familien mit einem nicht-mexikanischen Elternteil. Dies gibt den Klassen, die bisher von der Vorschule bis zur sechsten Klasse reichen, eine bestimmte multikulturelle Atmosphäre. Harte Arbeit von Lehrern und Eltern hat die Behörden jetzt überzeugt, dass die Schule auch eine Oberstufe eröffnen darf, die in Mexiko die Klassen 7-9 umfasst.

Das  Colegio („Schule“) Yeccan (Nahuatl: „Ort guten Lebens“) Waldorf wurde im September 1994 durch fünf engagierte, berufstätige Frauen und Mütter gegründet, die – so die Mitgründerin Gabriela Sánchez Rodríguez – „interessiert an einer Erziehung, die alle menschlichen Fähigkeiten gebraucht“ waren. Die Schule begann mit 35 Schülern und arbeitete zehn Jahre unter dem Namen Villa Educare de Guanajuato.

Schließlich wechselte die Schule den Namen, als – in den Worten von Señora Sanchez, „wir uns vollständiger mit der Waldorfpädagogik identifizierten, die unsere frühen Erwartungen widerspiegelt und das Interesse vieler anderer Eltern angezogen hat, die ihren Kindern ein wahres Geschenk machen möchten: Eine Erziehung mit dem Herzen.“

Festeszeiten

Der Herbst ist in ganz Mexiko eine besonders festliche Zeit, und nirgendwo mehr als in Guanajuato, was eine Gelegenheit gibt, am Colegio Yeccan viele verschiedene Ereignisse und Kulturen ins Spiel zu bringen. In dieser Stadt, die, in den Worten eines Gouverneurs, „Kultur atmet“, beginnt die Herbsteszeit mit dem Internationalen Cervantino Festival, einem dreiwöchigen Fest, das im Oktober Musik, Drama und Tanz aus der ganzen Welt versammelt. Straßen, Plätze, Kirchen und Hörsäle werden ein lebendes Theater und geben der Waldorfgemeinschaft die Gelegenheit, am größten Kunstfestival Lateinamerikas teilzuhaben. Zwischenzeitlich feiern Schüler, Lehrer und Eltern das Festival de la Cosecha (Erntefest) in einem Amphitheater in den nahegelegenen Santa Rosa Bergen mit einem Michaeli-Drachenspiel und einem Picknick.

Während Mexikos lebendigem Allerseelentag am 1. und 2. November verkaufen Künstler auf den Plätzen in der Stadt traditionelle handgemachte Alebrijes, kleine Zuckerfiguren. Währenddessen vertiefen sich oben auf dem Schulgelände des Colegio Yeccan die Studenten in diese alte kulturelle Tradition, indem sie für die Verstorbenen wunderschöne Altäre errichten, mit handgearbeiteten Objekten, Cempasuchil (Ringelblume) und Cajeta (einem süßen Aufstrich aus Süßkartoffel, Guave, Zimt, Walnuß und Zucker). Zu dieser Zeit wird auch Halloween gefeiert, mit Kürbissen, Apfeltauchen, oranger und schwarzer Dekoration und Liedern  und Gedichten in Englisch – „Double, double toil and trouble” von Macbeth.

„Die Ursprünge von Halloween“, erklärt die Lehrerin Michelle Marin, „lagen in der Notwendigkeit, die Atmosphäre der Erde von bösen Geistern zu reinigen, so dass an Allerheiligen und Allerseelen, am 1. und 2. November, nur die guten Geister hereinkommen durften. Viele Kulturen fühlen zu dieser Zeit des Jahres ein Dünnerwerden des Schleiders zwischen unserer und der spirituellen Welt. Man bereitet also den Weg für die muertos (Toten), damit sie wohlbehalten und sicher unter uns feiern.“

In der zweiten Novemberwoche feiert das Colegio Yeccan einen anderen Waldorf-Favoriten, das Festival de los Faroles (Laternentag), mit einem Puppenspiel, begleitet von einer Leier und Kerzen, Papierlaternen, Liedern und Spielen. Später im Monat feiert die zweisprachige Schulgemeinschaft Thanksgiving mit einem Truthahnessen. Das Jahr kulminiert dann mit traditionellen Weihnachtsprozessionen und Weihnachtsspielen.

Biographisches

Michelle Marins Klassenraum der 5. Klasse ist ein heller, luftiger Raum unter einer gewölbten Decke aus boveda (handgemachte Ziegel). Große Fenster und ein Balkon bieten einen spektakulären Blick auf die nahegelegene La Bufa, Guanajuatos bekannteste Bergspitze. Innen sieht man im klaren Morgenlicht ausgebreitet Pflanzen, Muscheln, Körbe, Bälle, Bücher, Pinsel und Musikinstrumente, was die vielfältige Beschäftigung der Kinder mit der Welt um sie herum widerspiegelt. In diesem wohlgeordneten, aber entspannten Umfeld, bewegen sich ein Dutzend Fünftklässler rege und engagiert durch die Rhythmen ihres Schultages.

Michelle Marin ist eine warme, auffällige Frau, deren Präsenz natürlichen Respekt hervorruft. Auf der Suche nach Alternativen für ihre Kinder begann sie Ende der 70er Jahre selbst als Waldorflehrerin in Colorado. Von da ging sie nach Kalifornien und unterrichtete 14 Jahre lang an der Waldorf School of Mendocino County. Vor acht Jahren kam Michelle dann während eines sechs-monatigen Sabbatical nach Mexiko. „Ich wusste nicht, dass es hier eine Waldorfschule gibt“, sagt sie. Da sie von mexikanischer Abstammung war und fließend Spanisch sprach, bat man sie, bis zum Jahresende zu helfen. Am Ende blieb sie und unterrichtete Englisch, später übernahm sie eine eigene erste Klasse, die sie nun schon fünf Jahre unterrichtet. Auch ihre Tochter Joaquina ist Lehrerin am Colegio Yeccan.

Colegio Yeccan ist eine von fünf Waldorfschulen in Mexiko und, als „developing school“ ein aktives Mitglied der Association of Waldorf Schools of North America. Als Mexikos Delegierte bei der AWSNA ist Michelle Marin qualifiziert, über die Freuden und die Herausforderungen des Unterrichtens am Colegio Yeccan und in Mexiko überhaupt zu sprechen.

Probleme und Herausforderungen

„Die Waldorflehrerbildung ist in Mexiko recht jung. Es gibt nur eine Ausbildungsstätte für das ganze Land in Cuernavaca – ein dreiwöchiger Sommerkurs, jetzt im sechsten Jahr. In den USA ist es natürlich anders, dort gibt es viele Möglichkeiten für die Ausbildung.  Bis jetzt haben wir nicht mehr als ein, zwei voll ausgebildete Lehrer, obwohl alle die Sommerkurse besuchen. Wenn der Lehrer am Ende an der Schule arbeitet, werden die halben Kosten durch die AWSNA übernommen.“

Doch ausgebildete Waldorflehrer zu finden und zu behalten, ist nicht immer einfach. Obwohl Guanajuato eine relativ florierende Stadt ist, ist Mexiko kein reiches Land und Löhne sind niedrig. „Wir können keine hohen Schulgelder nehmen“, sagt Michelle, „also können wir den Lehrern nicht genug bezahlen. Viele gehen nach ein paar Jahren.“

Die finanzielle Seite ist für das Colegio Yeccan eine konstante Herausforderung. „Wir haben einen Lehrer-Laden und wir verkaufen Dinge, um die Lehrerausbildung zu unterstützen. Der Weihnachtsbasar bringt Geldmittel. Wer verkaufen Backwaren und Bücher und machen Benefizkonzerte. Wenn es noch immer an Geld mangelt, helfen Eltern finanziell bei der Lehrerbildung. Dennoch ist Fundraising in den USA mehr verwurzelt. Hier tendieren die Menschen dazu zu denken: Wenn man es sich leisten kann, sein Kind zu einer Privatschule zu schicken, warum soll man dann noch Fundraising machen?“

Das Schulgeld, das lange nicht so hoch ist wie in den USA, begrenzt dennoch den Kreis der Menschen, die die Schule besuchen können. „Wir bieten den Eltern, die nicht bezahlen können, Stipendien an“, sagt Michelle, „und wir bitten sie, andere Dinge zu tun. Wir bitten sie, ihre Einnahmen offenzulegen und bieten Ermäßigungen an. Lehrer erhalten einen Freiplatz für ihre Kinder.“

Die mexikanischen Behörden erlauben unabhängigen Schulen den Betrieb, aber sind nicht immer bereit zur Unterstützung. In den ersten Jahren der Schule half die Stadt, die Lehrerausbildung zu finanzieren, während die Schule für die lokalen Kinder freie Workshops im Puppenmachen, Malen und Kerzenziehen anbot, aber dies wurde in den folgenden Jahren nicht weiter fortgesetzt. Zudem gibt es offizielle Restriktionen in Bezug auf das Curriculum. „Eine lange Zeit durften wir nur bis zur 6. Klasse unterrichten“, sagt Michelle. „Und es gibt einen Haufen an Bürokratie. Sie geben uns vorgeschriebene Textbücher und schicken Supervisoren, die uns kontrollieren.“

Dennoch...

Dennoch deutet die lebhafte Atmosophäre in den Klassenräumen und auf dem Schulgelände, die vielen Ereignisse während des Jahres und eine Flut neuer Kinder in den Vorschulklassen auf eine gesunde Zukunft für das Colegio Yeccan Waldorf. Im Sommer 2006 war Guanajuato Gastgeberin einer internationalen Kolisko Konferenz. Diese Konferenzen konzentrieren sich auf das heilende Element in der Erziehung und bringen Waldorflehrer, anthroposophisch orientierte Ärzte und Therapeuten zusammen. Diese Konferenz in Guanajuato brachte viele Waldorf- und anthroposophische Besucher von außerhalb in diese mexikanische Hochlandstadt.

„Eltern, die Schönheit und Ästhetik schätzen, zieht es nach Guanajuato“, sagt Michelle. „Im Vergleich mit den USA wachen die Mittelklasse-Kinder hier nicht so früh auf in Bezug auf die Härten der Welt. Unschuld währt länger. Und Mexiko selbst ist auch langsamer. Ich bin hier entspannter und das hilft mir, leichter zu geben.“

Am Ende des Schultages verlassen die Schüler das Colegio Yeccan in das Stadtzentrum hinunter oder in die umliegenden Gemeinden an den Hängen, wo noch alte Minen und Kirchen stehen – das pädagogische Gespräch zwischen dieser außergewöhnlichen Stadt und der Schule auf dem Hügel fortsetzend.

Tony Cohan

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