
Notfallpädagogische Jahrestagung 2022
Zum 11. Mal veranstaltet die Abteilung Notfallpädagogik der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e. V. in Zusammenarbeit mit Notfallpädagogik Ohne Grenzen e. V. die Notfallpädagogische Jahrestagung. Die Tagung findet dieses Jahr vom 17.06 bis 19.06.2022 unter dem Titel „Krieg, Flucht, Alltag – Trauma bei Menschen mit Behinderung“ statt.
Wir möchten uns dem Thema insbesondere aus (notfall-)pädagogischer Sicht nähern, denn Erfahrungen von Belastungen und Bedrohungen verschiedenster Art werden von jedem Menschen durchlebt und sind unvermeidlich. Menschen mit Behinderung erleben häufiger als andere Ereignisse, die mit grenzwertigen oder auch grenzüberschreitenden Handlungen verbunden sind. Zudem können sie diese häufig nicht aktiv beeinflussen und aufgrund möglicher kognitiven Beeinträchtigungen oft auch weniger schnell erfassen und beurteilen.
Dabei soll es bei der diesjährigen Tagung vor allem um die Fragestellung gehen, welche Auswirkungen Traumata auf Menschen mit Behinderung haben können, und welche spezifischen notfall- und traumapädagogischen Interventionsmöglichkeiten in diesem speziellen Fachgebiet erforderlich oder möglich sind. Das Thema Flucht, gerade ja wieder sehr allgegenwärtig, soll für die Tagung auch mitangeschaut werden.
Auch dieses Jahr freuen wir uns wieder auf Interessierte aus pädagogischen, therapeutischen und medizinischen Bereichen die sowohl als Beitragende, als auch als Teilnehmende jedes Jahr die Tagung besuchen. Von unseren Ehrenamtlichen wird die Tagung ebenfalls regelmäßig zur Fortbildung und zum Erfahrungsaustausch genutzt.
Die Tagung wird auch dieses Jahr wieder im Hybirdformat stattfinden. Das bedeutet Teilnehmende können entweder vor Ort in Karlsruhe teilnehmen oder online. Des Weiteren werden alle Vorträge auf Deutsch, Englisch und Spanisch verfügbar sein, was es uns ermöglicht die Tagung einem breiten Publikum zur Verfügung zu stellen. Wir freuen uns auf Vortragende aus Deutschland und dem Libanon, Menschen aus verschiedenen Fachbereichen mit speziellem Fokus auf Trauma und Behinderung, unseren Leitthemen für die diesjährige Jahrestagung. Ergänzt werden die Vorträge durch eine Vielzahl an praktischen Workshops, die ebenfalls online oder offline (vor Ort in Karlsruhe) besucht werden können.
Wir freuen uns über Ihr Interesse und hoffen Sie im Juni on- oder offline zur Notfallpädagogischen Jahrestagung 2022 begrüßen zu dürfen.
Zeit-Plan zur Tagung
Einen vorläufigen Plan zur Tagung können Sie HIER ansehen.
Dieser Plan stellt den zum jetzigen Zeitpunkt geplanten Ablauf dar.
Er ist daher ohne Gewähr, Änderungen sind vorbehalten.
Teilnahme-Beiträge
Präsenz (Vor-Ort-Teilnahme in Karlsruhe):
Regulärer Preis 270,00 € (einschließlich 60 € für Mahlzeiten ohne Frühstück).
Ermäßigter Preis 120,00 € (einschließlich 60 € für Mahlzeiten ohne Frühstück, Schüler, Studenten und Ehrenamtliche - ein Nachweis (Studentenausweis o.ä.) ist erforderlich).
Online-Teilnahme (Die Vorträge weden aufgezeichnet)
Europa:
Reguläre Gebühr 150,00 €
Ermäßigter Tarif 60,00 €. Nur Schüler, Studenten und Einsatz-Teilnehmer - Nachweis (Studentenausweis o.ä.) muss erbracht werden.
Weltweit, außerhalb Europas:
Reguläre Gebühr 50,00 €
Ermäßigte Gebühr 10,00 € für diejenigen, die 50,00 € nicht zahlen können.
REFERENT*INNEN - Vorträge & Informationen

Bernd Ruf
Krieg – Flucht – Behinderung Wie Pädagogik Kindern und Jugendlichen helfen kann, ihre traumatischen Erlebnisse zu überwinden
Zurzeit sind nach Angaben von UNHCR über 73 Millionen Menschen auf der Flucht. Fast die Hälfte dieser Flüchtlinge sind minderjährig. Viele Kinder und Jugendliche flüchten ohne Bezugspersonen. Krieg und Flucht stellen fast immer traumatische Erfahrungen mit weitreichenden Konsequenzen für die weitere Biografie dar. Besonders dramatisch ist dabei die Situation von Kindern und Jugendlichen mit Assistenzbedarf. Worum handelt es sich bei Kriegs- und Fluchttraumata? Wie wirken sie sich bei Kindern und Jugendlichen aus? Vor welche besonderen Herausforderungen werden Menschen mit Assistenzbedarf in dieser Situation gestellt? Wie kann Notfall- und Traumapädagogik diesen Kindern und Jugendlichen helfen, ihre Erlebnisse zu verarbeiten und damit Trauma-Folgestörungen zu verhindern? Die Ausführungen sollen pädagogische Fachkräfte und ehrenamtliche Hilfskräfte ermutigen und befähigen, die Herausforderung anzunehmen.
Bernd Ruf ist als Sonder- und Waldorfpädagoge sowohl Mitbegründer der Freien Waldorfschule Karlsruhe als auch Mitbegründer und Schulleiter des Parzival-Kompetenzzentrums für Bildung. Neben seiner internationalen Vortrags- und Seminartätigkeit engagiert er sich seit 1993 in verschiedenen Gremien und Organisationen zur Förderung der Waldorfpädagogik. Außerdem ist er seit 1987 geschäftsführender Vorstand der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. 2006 kam mit dem Aufbau und der Leitung der Notfallpädagogik (Kriseninterventionen in Kriegs- und Katastrophenregionen) ein weiteres Aufgabengebiet hinzu. In zahlreichen internationalen Einsätzen können so Kinder auf der ganzen Welt in der Bewältigung ihrer traumatischen Erlebnisse unterstützt werden. Im Herbst 2014 initiierte Bernd Ruf zudem die Aufnahme, Begleitung und Beschulung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen am Parzival-Zentrum in Karlsruhe, dort richtete er auch eine notfallpädagogische Ambulanz ein.

Walter Dahlhaus
Trauma und Behinderung
So wie über eine lange Zeit das Vorhandensein seelischer Erkrankungen bei Menschen mit Assistenzbedarf nicht hinreichend wahrgenommen wurde - so wächst auch jetzt nur langsam das Bewusstsein in der Gesellschaft, in welch vielfacher Weise diese Menschen traumatischen Erfahrungen ausgesetzt sind. Das umfasst sowohl Formen der Gewalt wie sexualisierter Gewalt wie vor allem auch emotionale Traumatisierungen. Die gewachsene Aufmerksamkeit darauf ermöglicht zunehmend adäquate pädagogische und therapeutische Zugänge.
Walter Dahlhaus wurde 1953 geboren, ist Heilpädagoge und Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er arbeitet in einer Praxis in Merzhausen/Freiburg und bietet psychiatrische Beratungen in Einrichtungen für Menschen mit Assistenzbedarf an.

Martin Kühn
Trauma & behindertes Leben
Menschen mit Behinderungen stellen in Bezug auf traumatische Belastungen eine Hochrisikogruppe dar. Im Gegensatz dazu ist ihre psychosoziale Versorgung bis heute absolut grenzwertig.
In diesem Vortrag werden die traumabezogenen Verständnisgrundlagen vorgestellt und die Notwendigkeit entsprechender pädagogischer Interventionen beschrieben. Eine traumasensible Begleitung und Betreuung stellt einen nicht zu unterschätzenden Beitrag durch pädagogische Angebote zur Traumaheilung von Menschen mit Lernschwierigkeiten dar.
Martin Kühn ist Dipl. Beh.-Pädagoge mit Zusatzausbildung in Systemischer Therapie und Beratung, sowie Systemischer Therapie mit dem inneren Familiensystem (IFS nach R. Schwartz). Seit über 30 Jahren hat er berufliche Erfahrung in der Jugend- und Behindertenhilfe und ist seit den 90er Jahren an der Begründung und Entwicklung der Fachdisziplin „Traumapädagogik“ beteiligt. Er ist ein vielgefragter Referent und Initiator und Gründer der „Bundesarbeitsgemeinschaft Traumapädagogik“ (heute Fachverband Traumapädagogik FV TP). 2010 gründete er das „traumapädagogischen institut norddeutschland“ in Worpswede bei Bremen und ist dort in Vollzeit beschäftigt.

Heinz Rembor
Krisenintervention bei Menschen mit Handicap – was bleibt anders?
Ist Krisenintervention ohnehin anspruchsvoll, so stellt Krisenintervention bei Menschen mit Handicap oftmals die Helfer vor besondere Herausforderungen. Der Referent stellt mögliche Besonderheiten vor und versucht, Lösungen hierfür anzubieten. Hierbei wird auf die praktische Umsetzbarkeit besonderer Wert gelegt.
Heinz Rembor hat nach seinem Wehrdienst bei der Bundeswehr sein Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg erlangt und danach eine Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher absolviert. Es folgten sieben Jahre in einem Heim für „schwererziehbare und verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche“ und ein Studium Sozialwesen an der Hochschule in Coburg. Seit 1996 als Dipl. Sozialpädagoge im begleitenden Dienst einer Werkstatt für Menschen mit Assistenzbedarf und im Rahmen dessen Weiterbildung zum Integrationsberater und Leitung von QUBI.
Paralle dazu ist er staatlich anerkannter Rettungsassistent und sei 1973 Mitglied im Arbeiter Samariter Bund. Dort hat er derzeit die ehrenamtlich Leitung des Kriseninterventionsteams und der Beratungsstelle KIT für Menschen mit Handicap inne.

Dr. Reem N. Mouawad
„Step Together“ und Kinder im Krieg, die seelische Zuwendung benötigen
"Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."
Dieser Vortrag beginnt mit einer Definition von Kindern, die der Seelenpflege bedürfen, und der Rolle der heilenden transformativen Bildung. Er beschreibt dann die Herausforderungen des Lebens in Kriegssituationen, die Auswirkungen des Krieges auf Kinder im Allgemeinen und Kinder mit besonderen Bedürfnissen im Besonderen. Er stellt den Libanon als Fallstudie vor, ein Land, das mehr als 30 Jahre lang politische Kriegskonflikte, Instabilität und wirtschaftlichen Zusammenbruch erlebt hat.
Dr. Reem N. Mouawad ist die Vorsitzende und Schulleiterin der Step Together Association, einer gemeinnützigen Organisation für Kinder und Erwachsene mit besonderen Bedürfnissen. Außerdem ist sie Dozentin für Sonderpädagogik an der American University of Beirut und Assistenzprofessorin an der Lebanese American University. Dr. Mouawad ist eine internationale Expertin für Heilpädagogik, sie initiierte mit internationalen Partnern in Großbritannien und Deutschland das Lehrerausbildungsprogramm und ist internationales Mitglied in der inklusiven sozialen Entwicklung (Dornach, Schweiz), um an der Entwicklung der Charta des Sonderschullehrers über Kulturen hinweg zu arbeiten. Sie war als Beraterin für viele Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen tätig und ist außerdem Autorin des arabischen Buches "Das andere Kind", das in die Grundlagen der Sonderpädagogik in arabischer Sprache einführt.

Martin Straube
Behinderung traumatisiert – Traumatisierung behindert
Wir sprechen bei den klassischen Behinderungsbildern von einer Untergruppe der sogenannten „hirnorganischen Psychosyndrome“ („HOPS“) mit Einschränkungen der kognitiven Möglichkeiten, Impulsregulationsstörungen, Aufmerksamkeitsmangel und Erinnerungseinschränkungen. Schaut man diese mit den Begriffen der anthroposophischen Menschenkunde an, so verschieden sie individuell auch sind, ergibt sich eine erstaunliche Nähe zu dem menschenkundlichen Bild der Traumafolgestörungen, die auch kognitive Veränderungen, Verhaltensauffälligkeiten, Aufmerksamkeitseinschränkungen und, zumindest in Bezug zum traumatischen Geschehen, Veränderungen des Erinnerungsvermögens aufweisen.
Wenngleich der Traumabegriff inflationär und unscharf genutzt wird, auch dort, wo er nicht berechtigt ist, so wissen wir heute, dass es viele unerkannte Traumata gibt. Und das betrifft besonders auch Menschen mit Behinderungen, da das Trauma bei ihnen oft keine Extrasymptome verursacht, sondern die Symptome ihrer Behinderung „nur“ verstärkt werden.
Daher brauchen wir einen geschulteren Blick, um hier Traumatisierungen zu bemerken.
Martin Straube ist Arzt, Schularzt, Autor und Referent. Durch seine Tätigkeit als Arzt merkte er bald, dass Krankheiten das Endergebnis eines Prozesses sind. Und der Beginn eines solchen Prozesses ist oft ein Trauma. Dann kam durch die Arbeit mit den Freunden der Erziehungskunst in den notfall- und traumnapädagogischen Einsätzen in Kriegs- und Katastrophengebieten die Notwendigkeit hinzu, sich mehr mit dem Trauma zu beschäftigen, sich fort- und weiterzubilden. Seither ist die Arbeit mit traumatisierten Menschen zum Schwerpunkt seiner Arbeit geworden.
Als Ausbilder von heilpädagogischen Waldorflehrern und von Heilpädagogen, sowie durch viele Fallsupervisionen in sozialtherapeutischen Einrichtungen hat er wahrnehmen können, dass gerade bei Menschen mit Behinderungen Traumata wesentlich häufiger zu sehen sind, da sie weniger Möglichkeiten haben sich zu schützen und oft schon ab der Geburt die Bindungen an die Eltern und auch weiterhin die sozialen Interaktionen gestört sind. Wechselnde Heimunterbringungen und Wechsel von Bezugspersonen werden noch weniger verkraftet, als von Kindern ohne Behinderungen, was bei der meist deutlich eingeschränkten Resilienz traumatisch wirkt.