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Wandel nach einem schrecklichen Krieg

(aus: Waldorfpädagogik weltweit, S. 140-141, Copyright-Hinweise beachten!)

Einen Bericht über die Entwicklung der Waldorfpädagogik und der anthroposophischen Heilpädagogik in Vietnam zu geben, verlangt eine historische Rückschau auf die politischen Ereignisse dieses Landes. Über Waldorfpädagogik überhaupt zu sprechen scheint noch etwas verfrüht und doch sind seit einigen Jahren Samen gepflanzt worden, die auch langsam ihre Früchte tragen.

Vietnam und seine Wunden

Vietnam hat im Laufe des 20. Jahrhunderts enorme Umbrüche durchlitten, deren Narben und Wunden immer noch zu spüren sind. Fast hundert Jahre lang war Vietnam eine französische Kolonie. Nach den Franzosen sind während des Zweiten Weltkrieges die Japaner eingezogen und nach deren Niederlage in Hiroshima die Franzosen zurückgekehrt. Die berühmte Schlacht von Dien Bien Phu 1954, bei der die vietnamesische Widerstandsbewegung die französische Armee schlug, war für viele Kolonialländer ein wichtiger Moment der Hoffnung auf Befreiung.

Nur waren damit für dieses Land die Prüfungen noch nicht zu Ende. Die Amerikaner hielten Einzug in das Land unterhalb des 17. Breitengrades, zuerst als Berater, dann immer mehr als Armee. Der Norden Vietnams legte in den Kommunismus die Hoffnung auf eine neue gerechtere Gesellschaft, da die traditionelle Gesellschaft durch die Kolonialzeit langsam auseinander gefallen war und neue Formen gesucht werden mussten.

Der lange und schmerzhafte Krieg zwischen dem sozialistischen Nordvietnam und dem von den Amerikanern unterstützten Südvietnam ist, glaube ich, noch in aller Erinnerung. Auf der einen Seite die mächtigste Armee der Welt und auf der anderen Seite eine Volksarmee mit spärlichsten Mitteln. Dieser Krieg war einer der grausamsten des vergangenen Jahrhunderts. Nach dreißig Jahren endete er 1975 mit dem Sieg der nordvietnamesischen Armee. Das Land war wieder vereinigt aber völlig zerstört.

Erste Blicke in ein zerstörtes Land

Ha Vinh Tho, Gründer der ersten anthroposophisch orientierten heilpädagogischen Heime in Vietnam, stammt aus einer vietnamesischen Familie, die über Generationen politisch in ihrem Land tätig war. Sein Großvater war Vizegouverneur von Zentralvietnam zurzeit des letzten Kaisers, sein Vater Botschafter von Südvietnam während des amerikanischen Krieges, sein Onkel ein naher Mitarbeiter von Ho Chi Minh und auch in der nordvietnamesischen Regierung tätig. Ha Vinh Tho ist Eurythmist und Heileurythmist und seit über zwanzig Jahren in der Camphill-Bewegung tätig.

Als er 1982 wieder in das Heimatland seines Vaters reisen konnte, fand er ein völlig zerstörtes, politisch eingeengtes Land vor. Die Armut und die Folgen des Krieges waren überall spürbar. Waldorfpädagogik war damals noch völlig undenkbar. Man konnte kaum ein privates Gespräch ohne "offiziellen Übersetzer" führen, die Besuche in Schulen und Heimen waren immer begleitet und überwacht.

1989 hat das Land seinen einzigen Alliierten, die ehemalige Sowjetunion, verloren und musste sich daher langsam öffnen. Diese Öffnung, die vor allem ökonomisch spürbar ist, ist in den letzten Jahren rasant vorangegangen. Vor allem in den Städten Hanoi und Ho Chi Minh ist ein solcher ökonomischer Aufschwung spürbar. Hanoi war noch vor zehn Jahren eine arme Stadt, in der es fast nichts zu kaufen gab, alle Leute waren nur mit Fahrrädern unterwegs. Inzwischen ist es ein dynamisches und durch die vielen Autos verschmutztes Einkaufsparadies. Und doch darf man nicht vergessen, dass Vietnam immer noch kommunistisch ist und zu den ärmsten Ländern der Welt zählt; sobald man sozial tätig ist, wird man sofort daran erinnert. Alle sozialen Projekte sind ohne ausländische Hilfe undenkbar.

Ein Lächeln als Wink

Die erste Begegnung mit der Heilpädagogik entstand durch ein Lächeln. Eine katholische Nonne aus Hue strahlte mit ihrem unvergleichlichen Lächeln und bat um Hilfe für sehr arme und dadurch benachteiligte Kinder. Über die ersten fünf Jahre besuchten und unterstützten Ha Vinh Tho und seine Frau Lisi vor allem schon bestehende Heime, die meistens von katholischen oder buddhistischen Nonnen geleitet wurden. Zwei katholische Nonnen, Leiterinnen eines großen Waisenheims für schwerbehinderte Kinder, sind drei Jahre lang in die Schweiz gekommen und haben dort ihre heilpädagogische Ausbildung im "Camphill-Seminar Perceval" gemacht. Eine erste Eigeninitiative war die Begründung von drei Klassen für behinderte Kinder im Rahmen einer Volksschule in Hue. Der Bau wurde mithilfe der Freunde der Erziehungskunst finanziert, und Tho und Lisi übernahmen die Verantwortung für die Ausbildung der sechs Lehrerinnen. Zurzeit sind sie dabei, ein Heim für schwerbehinderte Kinder in Zusammenarbeit mit buddhistischen Nonnen zu gründen. Ein Frühförderungsprogramm wurde eingeführt und eine Betreuung der behinderten Kinder in den Familien eingeleitet. Die Kurse in anthroposophischer Heilpädagogik sollen von der Pädagogischen Hochschule in Hue anerkannt werden.

Das vietnamesische Schulsystem ist noch unter der Kontrolle der Regierung und der kommunistischen Partei. In der Heilpädagogik ist man etwas freier, da noch sehr wenig Angebote vorhanden sind. Inzwischen kommen viele ausländische Experten nach Vietnam und jeder versucht seine Methode zu "verkaufen". Daher verlangt es viel Takt und Respekt, um dabei mitzuhelfen, dass die Vietnamesen ihren eigenen Weg finden können.

LISI HA VINH

Zur Kindergartenbewegung

Thanh Cherry, die in Vietnam geboren wurde und inzwischen Waldorfkindergärtnerin in Australien ist, besuchte 1998 nach vielen Jahren erstmals wieder ihr Heimatland. Sie lernte das Waisenheim Dieu Giac Temple und dessen Gründerin und Leiterin Nhu Tri kennen und plante zusammen mit ihr die Eröffnung eines Waldorfkindergartens für zwölf Heimkinder und dreizehn Kinder aus dem nahe gelegenen Armenviertel.

Seitdem hat Thanh Cherry Vietnam mindestens einmal pro Jahr besucht. Sie hat viele Menschen kennen gelernt, die sich privat, in Institutionen oder auf Regierungsebene mit frühkindlicher Erziehung beschäftigen. In Südvietnam ist Waldorfpädagogik völlig unbekannt, in Ha Noi, Nordvietnam, haben deutsche Auswanderer davon gehört.

In Ho Chi Minh Stadt (Saigon) wurde Thanh Cherry gebeten, im nationalen Lehrerinstitut für frühkindliche Erziehung jährlich ein viertägiges Seminar über Waldorfpädagogik zu halten. Hundert Teilnehmerinnen besuchen das Seminar, darunter Leiterinnen, Ausbilderinnen und Studenten aus der ganzen Stadt. Die Teilnehmerinnen nehmen die Ideen, Praktiken und künstlerischen Übungen der Waldorfpädagogik begeistert auf. Da das Interesse an Kursen über Waldorfpädagogik ständig zunahm, erklärte sich das vietnamesische Erziehungsministerium bereit, in Zukunft die Kurse zu organisieren und sie einem größeren Publikum zugänglich zu machen.

Ein Waldorfkindergarten

Zur gleichen Zeit haben Thanh Cherry und weitere an Waldorfpädagogik Interessierte einen Verein mit dem Namen "Friends of Steiner" gegründet, um in Ho Chi Minh Stadt einen Waldorfkindergarten zu eröffnen. Zwei Kindergärtnerinnen studierten von 1999 bis 2001 am Waldorfkindergartenseminar in Melbourne, Australien. Der Waldorfkindergarten soll im September 2001 eröffnet werden.

Die vietnamesische Regierung gibt für freie Schulen keinerlei staatliche Unterstützung, die überhaupt erst seit kurzer Zeit existieren.Bisher werden nur private Kindergärten oder halbstaatliche Colleges erlaubt, nicht aber Primar- und Sekundarschulen in freier Trägerschaft.

Für die Mehrheit der in Vietnam Lebenden ist es völlig neu, sich über Veränderungen im Erziehungssystem Gedanken zu machen. In intellektuellen Kreisen könnte eine solche Initiative sogar als den Idealen des Konfuzius (551- 479 v. Chr.) widersprechend betrachtet werden, die über zweitausend Jahre die vietnamesische Gesellschaft prägten.

Vietnam ist im Wandel begriffen. Obwohl sich die politische Situation vermutlich nicht radikal ändern wird, ist die Atmosphäre in der Gesellschaft doch entspannter. Ein neues Interesse ist an Erziehung und an Spiritualität entstanden und Waldorfpädagogik liegt ganz auf der Linie dieses neuen Interesses.

THANH CHERRY

Lisi Ha Vinh
Eurythmistin, seit 1982 engagiert sie sich mit ihrem Mann für den Aufbau heilpädagogischer Initiativen in Vietnam.

Thanh Cherry
Waldorfkindergärtnerin, Beratung von Kindergartenneugründungen in Thailand, Taiwan und Vietnam.

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