Freiwilligendienste | Notfallpädagogik
+49 (0)721 20111-0
Waldorf weltweit | WOW-Day | Patenschaften
+49 (0)30 617026 30
Home: Freunde Waldorf

Ein Land mit langer christlicher Tradition

(aus: Waldorfpädagogik weltweit, S. 70-71, Copyright-Hinweise beachten!)

In Portugal, einstige Seemacht mit einer reichen Tradition in Religion und Kulturleben, reicht die Geschichte der Waldorfpädagogik bis in die 20er-Jahre zurück. 1926 versuchte Julietta Leroi in ihrer portugiesischen Heimat eine Waldorfschule zu gründen. Aus diesem Grund reiste René Maikowski (1900-1992), Schüler von Rudolf Steiner und Lehrer einer der ersten Klassen der Stuttgarter Waldorfschule, nach Lissabon. Es gelang ihm jedoch nicht, einen entsprechend großen Interessentenkreis aufzubauen, das Projekt scheiterte und er kehrte nach Deutschland zurück. Eine kleine Gruppe Auslanddeutscher aus Lissabon aber hörte von seinen Absichten und lud ihn ein, Vorträge über Anthroposophie zu halten. Mit dieser Arbeit legte Maikowski einen Samen, der erst 1980 zur Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft Portugals führte.

Eltern auf der Suche nach Hilfe für ihr autistisches Kind

Aus dem ganzen Spektrum anthroposophisch inspirierter Bildungsarbeit ist die Heilpädagogik das erste Gebiet, das in Portugal Verwirklichung fand. Am Anfang stand die Frage von Eltern nach Betreuung und Erziehung ihres autistischen Kindes. Sie hatten in einem Zentrum für Diagnostik in Deutschland den Rat erhalten, ihren Sohn einem anthroposophisch- heilpädagogischen Heim anzuvertrauen. Auf Vermittlung durch das Goetheanum in Dornach, Schweiz, begegneten sie in Portugal Walter Junge, der die Nöte in Portugal erlebt und daraus die Initiative für eine heilpädagogische Arbeit auf anthroposophischer Grundlage ergriffen hatte. Ende 1975 gründete er zusammen mit Henrique Westenfeld, früher Vorsitzende der Anthroposophischen Landesgesellschaft, Padre Martinho (römisch-katholischer Geistlicher des Dorfes São Romão), Carlos Belo, Grundbesitzer aus dem Dorfe, der 12 Hektar Land für die zukünftige Arbeit schenkte, und dem Ehepaar Nazareth (Eltern des behinderten Knaben), den Verein "Casa de Santa Isabel".

Die Benennung ging auf die heilige Isabel zurück, die Gemahlin von Dominus Diniz (1279-1325), Königin von Portugal und mit der heiligen Elizabeth von Thüringen verwandt war. Nach Gründung des Vereins machte sich Walter Junge mit großer Aktivität auf die Suche nach Heilpädagogen und Therapeuten und stellte erste Kontakte mit verschiedenen Stiftungen her, um finanzielle Unterstützung für die Initiative zu erhalten. Walter Junge führte auch die ersten Gespräche mit dem Erziehungs- und dem Sozialministerium.

Heilpädagogik für Waisenkinder und Kinder aus ärmlichen Verhältnissen

Vier Heilpädagogen in Ausbildung fanden sich 1978 zusammen – der Portugiese Taciano Zuzarte, die Holländer Anneke de Pagter und Philipp Steinmetz und die Schwedin Jean Willinger – und bildeten in Holland eine Initiativgruppe. Von diesem Zeitpunkt an ging die Entwicklung sehr schnell. Die Verhandlungen mit den Ministerien wurden häufiger, da die Heimsonderschule als Einrichtung konzipiert wurde, in der vorzugsweise Schülerinnen und Schüler aus armen Verhältnissen lernen und leben sollten. Verhandelt wurde nicht um Geld für Immobilien, da der Verein vom Staat unabhängig bleiben wollte, sondern um Unterstützung der Schüler und um Subsidien für Gehälter.

Zwei Jahre später kamen aus Holland so viele Spenden zusammen, dass die vorfabrizierte Casa Elias gebaut werden konnte. Die Arbeit begann in Mai 1981 mit 12 Kindern und Jugendlichen, zum Teil Waisenkindern; die meisten kamen aus äußerst armen Verhältnissen und ihre Eltern konnten weder lesen noch schreiben. Viele Mitarbeiter aus dem Dorfe São Romão schlossen sich der Arbeit an. Der Unterricht begann provisorisch im Speisesaal, nachdem jeweils die Frühstückstische abgeräumt und als Schulbänke umgruppiert worden waren. Im nächsten Jahr gab es mehr Platz, weil inzwischen die Casa Gabriel, vor allem dank Spenden aus Deutschland und Portugal, bezugsbereit war. Im gleichen Jahr finanzierte die Fundação Gulbenkian, die größte Kulturstiftung Portugals, die Bau- und Einrichtungskosten des Schulhauses. Das Schulgebäude hat drei Klassenzimmer und einen kleinen Festsaal. Die Schülerinnen und Schüler werden in Altersgruppen von zehn bis dreizehn und von dreizehn bis siebzehn Jahren von einer Waldorflehrerin und erfahrenen Heilpädagoginnen unterrichtet. Sie erhalten Eurythmie, Massage (Hauschka und Chirophonetik), Heileurythmie und Einzelförderung.

1984 kam ein vom Arbeitsministerium geschenktes Werkstattgebäude zu der Einrichtung hinzu, in dem Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen jetzt in der Weberei, Töpferei, Schreinerei, Wäscherei, Bäckerei und Metallwerkstatt lernen und arbeiten können. Etwa fünfzehn Minuten zu Fuß entfernt wurde im selben Jahr eine kleine landwirtschaftliche Dorfsiedlung gegründet. Auch in der "Formigo" hat sich über die Jahre vieles geändert. Inzwischen gibt es zwei Wohnhäuser; 25 Menschen, Erwachsene, Betreute, Mitarbeiter und Mitarbeiterkinder leben dort.

Integration contra Heimerziehung

Seit Beginn der Integrationspolitik in Portugal ist es kaum noch möglich, neue Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, außer Schwerstbehinderte oder Waisenkinder, für die es keinen Wohnplatz in den Kinderhäusern mehr gibt. An diesem Punkt wird mit dem Unterrichtsministerium verhandelt. Heilpädagogen wurden gefragt, ob sie nicht an Staatsschulen unterrichten könnten, eine Kindertagesstätte ist geplant. In letzter Zeit wehren sich die Lehrergewerkschaften im Lande gegen diese Integrationspolitik und haben Streiks in den Schulen angedroht. Es kann sein, dass sich dieser Integrations- bzw. Normalisierungsgedanke völlig wandelt.

Katholische Tradition

Portugal ist ein stark römisch-katholisch geprägtes Land mit "Fatima" als einem der größten Wallfahrtsorte Westeuropas. Die Kirche im Dorfe São Romão ist an jedem Sonntag voller Gläubiger. Padre Martinho, Priester des Dorfes und Mitbegründer des Vereins "Casa de Santa Isabel", wusste von Anfang an, dass die geplante Heimsonderschule nicht katholisch sein würde. Bei der Bevölkerung und auch bei einigen Beamten herrschte während der ersten Jahre Unsicherheit über den christlichen Aspekt des Schullebens. Mitarbeiter der Casa de Santa Isabel wurden u. a. als Kommunisten und Spiritisten verschrien. Dank einiger Fernsehsendungen, einiger wohlwollender Artikel in der Landespresse, vieler Gespräche mit den Behörden und eines Besuches der früheren Präsidentengattin Maria de Jesus Barroso Soares, ist die Grundlage der Waldorf- und Heilpädagogik kein Diskussionsthema mehr.

Auf dem Weg zur ersehnten Waldorfschule

Neben der heilpädagogischen Arbeit des Vereins Casa de Santa Isabel gibt es in Portugal seit 1983 den Kindergarten "São Jorge" in Lissabon und seit 1992 den "Jardim de Infância International" in Lagos. Zwischen 1988 und 1996 existierte in Lagos auch eine kleine deutsch- und englischsprachige Waldorfschule mit dem Namen "Escola Primavera", die von Aussteigern aus England und Deutschland gegründet wurde und den Ruf einer "Hippie-Schule" hatte. Die pädagogische Arbeit in der Hauptstadt gibt immer wieder Anlass zu Hoffnungen auf eine Waldorfschule. Seit 1999 gibt es eine enthusiastische Gruppe von etwa 30 staatlich ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern, die drei Jahre lang Waldorfpädagogik in Blockkursen studieren möchten. Im Anschluss daran ist ein Praktikum im Ausland geplant. Dieser Kurs wird bisher von erfahrenen Waldorflehrern aus dem In- und Ausland gehalten. Ob das Teilzeitlehrerseminar zur Gründung der so ersehnten Waldorfschule führen wird, ist von den Impulsen der jeweiligen Persönlichkeiten abhängig.

PHILIPP STEINMETZ

Philipp C. J. F. Steinmetz
Mitbegründer der Casa de Santa Isabel in Portugal.

Jetzt fördern & spenden
Jetzt fördern & spenden

Für Freiwilligendienst bewerben

Häufiggestellte Fragen über den Freiwilligendienst