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Messeglöckchen oder doch eine mächtige Glocke im Stephansdom?

(aus: Waldorfpädagogik weltweit, S. 48-49, Copyright-Hinweise beachten!)

Die erste Waldorfschule Österreichs wurde 1927 im Zentrum von Wien gegründet. Der Aufbau der Schule vollzog sich in ständigem Kampf gegen starke Einschränkungen seitens der Schulbehörde. Die Schließung erfolgte unmittelbar nach der Annexion Österreichs durch Hitler 1938. Die Erinnerungen von Friedrich Hiebel (1903-1989) an diese Gründerzeit der Waldorf- Pädagogik in Österreich rufen ein besonderes Klangbild hervor, das vielmehr an die mächtigste Glocke im Stephansdom – die Pummerin – gemahnt als an das Geläut eines Messeglöckchens.

"Ich gehörte in Stuttgart mit Friedrich Wickenhauser (1902-1977) zu denjenigen Österreichern, die von Rudolf Steiner (1861- 1925) an die Waldorfschule berufen wurden. Begreiflich schien es, dass die Wiener auch im eigenen Land eine Waldorfschule begründen wollten. Alsbald begannen Gusti Bretter und Hannah Krämer-Steiner (1895-1984) mit einer kleinen Zahl von Kindern mit dem Unterricht der untersten Schulstufen. Der Kindergarten begann unter der Obhut von Ilse Bode-Rascher (1906-1988) und Adelheid Fleischhacker (1903-1987). Mitten in den Plänen um den weiteren Ausbau der Schule und im Suchen nach einem geeigneteren Schulhaus, kurz vor dem vollen Aufbau einer zwölfklassigen Schule, kam von außen her das Ereignis, das unsere Wiener Schule fast gleichzeitig mit der Stuttgarter Mutterschule zum plötzlichen Schließen der Tore zwang."

Nach einer Pause von 28 Jahren

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde 1955 der erste Waldorfkindergarten in Wien durch Bronja Zahlingen (1912-2000) gegründet. Sie bildete das Verbindungsglied zur ersten Schule vor dem Krieg, deren Kindergarten sie schon in ganz jungen Jahren betreut hatte.

In das Jahr 1963 fällt der Neubeginn der Waldorfschule durch eine Elterngruppe in Form eines "häuslichen Unterrichts", 1966 begann die Waldorfschule mit vier Klassen in einem öffentlichen Schulhaus in Wien. Für die Initiatoren der ersten Schulgründung seien neben dem Ehepaar Kühne von Elternseite drei Persönlichkeiten genannt (im Ministerium scherzhaft als die "Rudolfinen" bekannt): Kitty Wenckebach (1899-1988), zentrale Gestalt im Schulverein und immer wieder finanzielle Hilfe leistend, Eleonora Zimmermann (1916-1981) als starke Persönlichkeit im Kollegium wirkend, und Elisabeth Gergely, die mit ihrer Tätigkeit die Verbindung herstellte zwischen Eltern und Kollegium. Letztgenannte schildert in ihrem Rückblick anlässlich der 10-Jahres-Feier der Rudolf-Steiner- Schule Wien-Mauer diese zweite Schulgründung, die mit aller Verhaltenheit und unter "klimatisch" schwierigen Bedingungen begonnen hatte:

Öffentliche Anerkennung, ein mühsamer Weg

"Nach zahlreichen Verhandlungen im Unterrichtsministerium und bei der Stadtverwaltung konnte die Rudolf-Steiner- Schule Wien im Herbst 1966 – 28 Jahre nach der gewaltsamen Schließung der ersten Schule – eröffnet werden. Vier Klassenlehrer und zwei Fachlehrer hatten sich zusammengefunden, um 30 Kinder in vier Klassen zu unterrichten. Die Stadt Wien hatte für zwei Jahre schöne Klassenräume in einer öffentlichen Volksschule in Meidling zur Verfügung gestellt.

Sofort nach Beginn der Unterrichtsarbeit wurde der erste Versuch unternommen, die öffentliche Anerkennung zu bekommen, was vom Ministerium abgelehnt wurde. Danach richtete sich die Aktivität auf die Erlangung eines eigenen Statuts. Unter der Bezeichnung "Schule nach ausländischem Lehrplan" wurde die Rudolf-Steiner-Schule mit eigener Verordnung als zur Erfüllung der Schulpflicht geeignet anerkannt. Auf der Grundlage dieser Verordnung konnte nun die Unterrichtsarbeit in den einzelnen Klassen frei und unabhängig von jeglicher Einflussnahme staatlicher Stellen aufgebaut und auch der Schritt in die Oberstufe gewagt werden. Mit Schuljahresende 1967/68 lief das Gastrecht in den Räumen der öffentlichen Schule aus, und die Schule musste umziehen. In einem schönen Barockschloss, dessen ruhige und wohlproportionierte Bauformen trotz der gegebenen Verwahrlosung des Gebäudes unmittelbar ansprachen, schön gelegen am südwestlichen Stadtrand, durch einen geradezu überwältigenden Einsatz der damaligen Elternschaft instandgesetzt, fand die Rudolf-Steiner- Schule eine repräsentative Heimstatt.

Die Frage einer neuerlichen Einreichung zur Erlangung des Öffentlichkeitsrechtes, das aufgrund eines eigenen Organisationsstatuts und Lehrplanes verliehen werden kann, wurde in dem Augenblick reif zur Verwirklichung, als eine geeignete Persönlichkeit im Umkreis der Elternschaft mit profunder Sachkenntnis auf dem Gebiet der Schulgesetze sich als Helfer anbot. Dieses zweite Ansuchen wurde nach weiteren Verhandlungen im Ministerium genehmigt. Es stellt eine staatliche Anerkennung der Eigenart und besonderen Organisationsform der Schule dar und wurde zum ersten Mal in der Geschichte des österreichischen Privatschulwesens einer Schule, die keiner gesetzlich geregelten Schulart entspricht und die zudem im Kern als allgemeinbildende Schule für das Pflichtschulalter konzipiert ist, gewährt."

Weitere Einrichtungen entstehen

Erst ab 1977, dann jedoch in rascher Folge, entstanden die derzeit zwölf Schulen, neun allgemein bildende Schulen, eine Integrationsschule und zwei heilpädagogische Schulen. Eine eigenständige Entwicklung nahm die 1982 gegründete Friedrich-Eymann-Waldorfschule, die seit 1993 durch das Oberstufenrealgymnasium Rudolf Steiner weitergeführt wird. Im Zusammenhang mit der Landwirtschaft wurden verschiedene sozialtherapeutische Einrichtungen geschaffen wie z. B. auf dem Wurzerhof, in der Heimstätte Birkenhof, im Karl-Schubert-Haus Mariensee, im Sozialtherapeutikum Steiermark und in der Dorfgemeinschaft Breitenfurt.

Die erste Waldorfschule in Wien-Mauer lebte sieben Jahre lang frei finanziert, erst 1973 konnte eine laufende Subvention für Investitionen und Bautätigkeit erkämpft werden. Diese Subvention der so ge nannten Maurer Schule wurde Schritt für Schritt erweitert auf alle Schulen, immer erst nach massivem Druck seitens der Waldorfschulen und immer noch nicht für die laufenden Kosten der Lehrergehälter.

Seit 1981 liegen die alle österreichischen Waldorfschulen betreffenden rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten in der Verantwortung des Dachverbandes "Freie Bildungsstätten auf anthroposophischer Grundlage in Österreich", in dem Elisabeth Gergely als Gründungsmitglied die Entwicklung der Waldorfpädagogik weitere zwanzig Jahre mitgestaltet hat. 1998 wurden die in der Vereinigung zusammengeschlossenen vier Tätigkeitsfelder "Kindergärten, Schulen, Heilpädagogik/ Sozialtherapie und Einrichtungen der Erwachsenenbildung" in autonome Bereiche gegliedert, in deren Leitungsgremien jeweils ein Vorstandsmitglied der Vereinigung integriert ist. Die Schulen arbeiten im "Bund der Freien Waldorfschulen" zusammen und haben im Zuge dieser Neuorientierung ein Leitbild erarbeitet.

Studie zum Lehrplanvergleich

Eine durch Jahre durchgeführte Studie zum Lehrplanvergleich zwischen Waldorfschulen und dem Oberstufenrealgymnasium mit Instrumentalunterricht oder bildnerischem Gestalten und Werkerziehung brachte wesentliche Erleichterungen für die Ablegung der Matura, für die es inzwischen verschiedene Möglichkeiten gibt. Derzeit haben die Schulen in Linz, Salzburg und Wien-Pötzleinsdorf eine 13. Klasse als Maturalehrgang eingerichtet. Diese Lehrplan-Studie bildete auch die Grundlage für den 1995 erschienenen Manuskriptdruck "Pädagogischer Auftrag und Unterrichtsziele einer Freien Waldorfschule".

Die Lehrerausbildung begann mit einem berufsbegleitenden Seminar in der Mutterschule in Wien-Mauer; daraus entwickelte sich 1983 die Goetheanistische Studienstätte, eine Vollausbildung für Lehrerinnen und Lehrer, Künstlerinnen und Künstler und Kunsterzieher. Außerdem entstanden verschiedenartige berufsbegleitende Ausbildungen an anderen Schulen.

Inzwischen sind alle Waldorfschulen in Österreich durch Verleihung des Öffentlichkeitsrechts voll anerkannt. Ihre Vorreiterrolle für die Erneuerung des Staatsschulwesens wird durchaus gewürdigt. Zukünftige positive Entwicklungsmöglichkeiten sind nur dann gegeben, wenn sich die Waldorfpädagogik in einem Erneuerungsprozess den Zeitfragen stellt.

ANGELIKA LÜTKENHORST

Angelika Lütkenhorst
Geschäftsführerin und Oberstufenlehrerin an der Rudolf Steiner Landschule Schönau,Vorstand des Dachverbandes der österreichischen Waldorfschulen.

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