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Nordisches Licht über kurländischen Wäldern, Mooren und Seen

(aus: Waldorfpädagogik weltweit, S. 92-93, Copyright-Hinweise beachten!)

Seit 1991 ist Lettland frei von sowjetischer Herrschaft und seither hat sich vieles geändert. Lettland ist auf dem Weg in die Europäische Gemeinschaft. Auch im Bildungsbereich werden neue Wege gesucht, aber 50 Jahre sozialistischer Erziehung können nicht so leicht verwandelt werden in eine Erziehung zur freien Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes. Noch immer gilt im pädagogischen Bereich der Gedanke, dass Stoff und Leistung die Grundlage bilden für die Erziehung eines brauchbaren Bürgers in der staatlichen Gemeinschaft, und noch immer gilt die Parole Lenins, dass Vertrauen gut, aber Kontrolle besser ist.

Immerhin gibt es heute in Lettland vier Waldorfschulen, deren Aufbau und Existenz immer noch abhängig sind von ständigen Kontrollen der Gleichartigkeit mit den Normen, die für staatliche Schulen gelten. Aber ganz allmählich überwinden die lettischen Behörden und Medien ihre Vorbehalte und ihr Misstrauen gegen die Waldorfpädagogik, zumal der Ministerpräsident und seine engsten Mitarbeiter zurzeit ihre Kinder in Waldorfschulen und -kindergärten schicken, und der ehemalige Staatspräsident Guntis Ulmanis schrieb, dass "die Popularität der Waldorfpädagogik in Lettland ständig wächst und dass die Idee die Herzen vieler Lehrer und Studenten gewonnen hat, weil diese Methode der jungen Persönlichkeit eine wirkliche Chance zur freien Entwicklung gibt".

Gründungspersönlichkeiten der Waldorfschulen in Lettland

Die Gründerinnen der Rigaer Waldorfschule waren Mara Priede, eine erfahrene Lehrerin, die den ersten Kurs am Waldorflehrerseminar in Riga absolviert hatte, und die 21-jährige Mara Svilane, die frisch aus dem Kieler Waldorflehrerseminar in Deutschland zurückgekehrt war und etwa 60–70 Eltern für das Experiment Waldorfpädagogik begeistern konnte. Im September 1993 begann der Unterricht der Waldorfschule Riga mit zwei Klassen und in Adazi mit drei Klassen. Bereits 1992 hatte die Waldorfschule in Grobina an der Westküste Lettlands mit dem Unterricht begonnen.

Während die beiden Waldorfschulen in Riga und Grobina als Staatsschulen organisiert sind, arbeitet die Waldorfschule Adazi in freier Trägerschaft ohne staatliche Subvention. Schulbehörde und Bildungsministerium unterstützen die Rigaer Waldorfschule kräftig, bis dahin, dass Bauvorhaben in den städtischen Etat aufgenommen werden; eine Erfahrungsakzeptanz, scheint es. Seit 1995 hat noch eine weitere kleine Waldorfschule in Lizdeni im Norden des Landes ihre Tätigkeit aufgenommen. Der Lehmneubau dieser Schule hat für viele Schlagzeilen gesorgt, wurde hier doch eine alte lettische Bautradition aufgegriffen, die während der sozialistischen Zeit ganz in Vergessenheit geraten war. An jede dieser Waldorfschulen ist auch ein Waldorfkindergarten angeschlossen.

Notwendige Abhängigkeit vom Staat

Waldorfschulen in Lettland haben es schwer, sich wirklich frei auf den Waldorflehrplan einzulassen: einerseits wegen der finanziellen Abhängigkeit vom Staat, andererseits mangels qualifizierter Lehrkräfte. Ein großes Problem ist auch die mangelnde Bereitschaft der Eltern, sich der Erziehung ihrer Kinder intensiv zu widmen. Viele Kinder leben in äußerst unbefriedigenden Familienzusammenhängen.

Zurzeit werden im Rahmen der Alternativpädagogik Grundzüge der Waldorfpädagogik an den pädagogischen Hochschulen vermittelt. Sie wird weniger als zukunftsorientierte Pädagogik verstanden, die junge Menschen zur Freiheit erzieht, sondern als Heilmittel gegen die stressbelastete Atmosphäre der Staatsschulen. Zu hoffen ist daher, dass die Waldorfschulen in Lettland auf diese Forderung der Zeit eine befriedigende Antwort werden geben können und dass die Waldorfpädagogik im lettischen Schulwesen ihren Platz finden wird.

JULIJA DOBROVOLSKA

Waldorf-Heilpädagogik und -Sozialtherapie

Im Bereich der Sonderpädagogik (in Lettland spricht man von Defektologie) wird vieles getan für die Rehabilitation und Integration entwicklungsgestörter und kranker Kinder. Es gibt in Lettland mehr Sonderschulformen als in Deutschland. Zumeist sind es Krankenhaus- und Internatsschulen, wo die Kinder – getrennt vom Elternhaus – medizinisch, psychologisch und pädagogisch betreut werden.

Eine solche Internatssonderschule ist Stikli im Norden von Kurland. Dort werden 150 milieugeschädigte und lernbehinderte Kinder betreut. Schon seit 1992 tauchte der Wunsch im Bildungsministerium und im Kollegium auf, diese Internatssonderschule in eine integrative Waldorf-Heimschule umzuwandeln. Mehrere Jahre hindurch fanden in Stikli heilpädagogische Seminare auf anthroposophischer Grundlage statt, und einige Kolleginnen kamen für ein bis zwei Jahre nach Deutschland zur Hospitation. Inzwischen arbeiten einige Klassen auf der Grundlage der Waldorfpädagogik, aber eine konsequente Umwandlung in eine Waldorf-Heimschule konnte bisher aus verschiedenen Gründen nicht erreicht werden. Das liegt einerseits daran, dass die Kinder in der Regel erst mit zehn Jahren eingewiesen werden, nachdem sie mehrfach in Regelschulen sozial und stofflich gescheitert sind. Andererseits hat der Gedanke der integrativen Erziehung von Kindern mit und ohne Lernschwierigkeiten keine Gegenliebe bei Mitarbeitereltern und in umliegenden Dörfern gefunden. Schließlich ist es nicht gelungen, junge Lehrer zu gewinnen, die in der Einsamkeit kurländischer Wälder, Moore und Seen leben und arbeiten wollen.

Große Not für Erwachsene mit besonderen Bedürfnissen

Noch völlig unbefriedigend ist das Schicksal behinderter junger Menschen, die ihre Schulpflicht beendet haben. Es gibt keine Einrichtungen für die sozialtherapeutische Betreuung seelenpflegebedürftiger Menschen. Ihnen drohen Arbeitslosigkeit, Armut, Verwahrlosung, Kriminalität und Abhängigkeit von Alkohol und Drogen. Der Staat hat bisher noch keine rechtlichen und finanziellen Grundlagen für die Integration dieser jungen Menschen geschaffen, die zumeist Opfer der allgemeinen Not und Armut des Landes sind.

Seit 1998 gibt es erste Bemühungen um eine soziale Integration behinderter Jugendlicher auf Grundlage anthroposophischer Sozialtherapie.

Da ist vor allem die Initiative "Saulespuke" (Sonnenblume) zu nennen. Zwei junge Erzieherinnen, die in St. Petersburg anthroposophische Heilpädagogik studiert haben, betreuen eine Gruppe arbeitsloser Sonderschulabgänger im Alter von 16 bis 21 Jahren. Mithilfe von Freunden aus Schweden und Deutschland konnte ein altes Bauerngehöft mit 30 ha Wald und Ackerland erworben werden. Hier wohnen und arbeiten die jungen Menschen, indem sie das Haus renovieren, den Garten bestellen und Haustiere betreuen. Im benachbarten Tukums konnte eine gut erhaltene Schule erworben werden, wo Arbeitsplätze in Form von Werkstätten und weitere Wohnplätze eingerichtet werden.

Die Anerkennung der Initiative durch die Behörden ist den jungen Leuten sicher, aber finanzielle Hilfen von Seiten der Stadt oder der zuständigen Ministerien gibt es so gut wie nicht. Die Initiative "Saulespuke" gilt inzwischen als Modell-einrichtung für die Betreuung gefährdeter Jugendlicher, und es ist zu hoffen, dass der Staat einsieht, dass diese Integration sinnvoller und kostengünstiger ist als die "Betreuung" in Strafanstalten und psychiatrischen Einrichtungen. Sehr gespannt kann man auf die Entwicklung eines Camphill-Heimes in der Nähe von Lizdeni im Norden des Landes sein, wo bereits mit einigen erwachsenen Behinderten ökologischer Landbau betrieben wird. Es ist ein viel versprechender Anfang in einer wunderbar weiten, lichten Landschaft.

HANS FRIEDBERT JAENICKE

Julija Dobrovolska
Seit 1993 Waldorflehrerin. Herausgeberin einer anthroposophischen Zeitschrift.

Hans Friedbert Jaenicke
Volksschullehrer, Waldorf-Sonderschullehrer. Lehrerbildung in Brasilien, Argentinien, Peru und im Baltikum.

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