Start unter erschwerten Bedingungen
(aus: Waldorfpädagogik weltweit, S. 104-105, Copyright-Hinweise beachten!)
"Unter Donner und Blitz" ist nicht nur der Titel einer Polka von Johann Strauß, sondern könnte auch das Motto für den Beginn und Aufbau der ersten Waldorfschule in Kroatien sein. Am 12. September 1993, buchstäblich unter Kanonendonner und Granatfeuer, wurde die "Waldorfska Skola Sv. Jurja" in Zagreb gegründet. Sechzig Kinder in drei Klassen und sechs Lehrerinnen und Lehrer hatten sich zu dieser "Unternehmung Hoffnung" zusammengefunden. Schon drei Jahre zuvor hatten kroatische und slowenische Lehrer beim österreichischen Bund der Waldorfschulen angefragt, ob nicht ein Ausbildungskurs in Waldorfpädagogik eingerichtet werden könne. Nachdem sich ein internationales Dozentenkollegium gefunden hatte, fanden von 1991-93 Wochenendkurse und Intensivwochen in Ljubljana, Wien und Zagreb statt. Die Slowenen gründeten bereits nach zwei Jahren ihre Schule in Ljubljana, während die Kroaten zuerst ihre Ausbildung abschließen wollten. Doch dann drängten Eltern auf die Schulgründung in Zagreb, deren Kinder den 1986 von Nada und Mladen Maljkovic noch unter kommunistischem Regime gegründeten Kindergarten besucht hatten.
Öffentliche Schule mit Experimentalprogramm
Von Anfang an war es der erklärte Wille des Kollegiums, die Waldorfschule nicht als Privatschule sondern als öffentliche Schule zu führen. Das hatte zur Folge, dass die Waldorfschule nur unter dem Titel "Öffentliche Grundschule mit Experimentalprogramm" ihre Arbeit beginnen konnte. Dieser Titel beinhaltete die Bereitstellung von Unterrichtsräumen und die Entlohnung der sechs Lehrer (Euro 150,– monatlich). Verbunden mit dem Experimentalstatus war die Bestellung einer pädagogischen Kommission (Schulinspektoren, Lehrer aus den Regelschulen und Waldorflehrer), welche die Evaluation dieses Projektes durchführen sollte. Bis 1996 formierte sich diese Kommission zuerst überhaupt nicht und dann später permanent um, sodass weder von einer Begleitung, noch von einer Beratung die Rede sein konnte.
Drohende Schulschließung
Bereits im Schuljahr1994/ 95 sah sich die Schule verschiedenen Angriffen seitens des Unterrichtsministeriums und der katholischen Kirche ausgesetzt. Dies hatte verschiedene Interventionen der internationalen Waldorfschulbewegung bei der Unterrichtsministerin zur Folge, die aber alle wirkungslos und unbeantwortet blieben. Dagegen wuchs durch mehrere positive Medienberichte das Interesse vieler Zagreber Eltern an der Schule.
Im Schuljahr 1996/97 nahmen die Repressalien gegenüber der Schule und den Lehrern dramatisch zu. Als dann schließlich im April 1997 der Bescheid des Unterrichtsministeriums eintraf, dass auf Grundlage des zweiten Inspektionsberichtes und einer Untersuchung der pädagogischen Kommission, die eine solche nie durchgeführt hatte, das Experimentalprogramm als negativ zu bewerten sei, schien das Schicksal der "Waldorfska Skola" besiegelt. Wenn überhaupt, so der Bescheid, könne diese Schule nur mit strengsten Auflagen als Privatschule ohne irgendwelche finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand weitergeführt werden. Im übrigen sei die Schule weder ordnungsgemäß angemeldet noch registriert und genehmigt.
Damit hatte sich das Ministerium die Möglichkeit verschafft, die Schule jederzeit schließen zu können. Da aber die ministerielle Feststellung nicht den Tatsachen entsprach – selbstverständlich war die Schule 1993 als achtklassige Schule angemeldet, registriert und bewilligt worden – wurde gerichtlich geklagt.
Neuer Wind für die Waldorfschule
Trotz dieser schwierigen Verhältnisse begann das Schuljahr 1996/97 äußerst hoffnungsvoll mit 29 Schülern in der ersten Klasse und einer großzügigen Spendenzusage aus dem Ausland. Dies spornte alle, denen die Existenz der kleinen Schule mit ihren damals 150 Kindern in acht Klassen am Herzen lag, zu immer neuen Versuchen an, das Unterrichtsministerium und die Öffentlichkeit für die Waldorfpädagogik zu "erwärmen". Das stark nationalisierte Klima im Land unterstützte dabei die Bemühungen um ein freiheitliches Bildungswesen in keiner Weise, sondern wurde als eisiger Gegenwind erlebt.
Nachdem die Schule also ein Jahr lang quasi "vogelfrei" weitergearbeitet hatte, kam es im Sommer und Frühherbst 1997 zu einer Wende. Zum einen erhielt die Schule zwei Baracken geschenkt, was die inzwischen unhaltbar gewordene Raumnot für die nächsten Jahre löste, zum anderen kam im September die Mitteilung aus dem Unterrichtsministerium (im Frühjahr hatte ein Ministerwechsel stattgefunden), dass die "Waldorfska Skola" selbstverständlich alle Bedingungen für ihre Arbeitserlaubnis erfülle. Eine neue Genehmigung sei nicht notwendig, da diese ja bereits 1993 gewährt worden sei. Man bitte das Kollegium die Klage gegen das Ministerium fallen zu lassen. Des Weiteren beauftragte der Unterrichtsminister das neu gegründete "Institut für Schulentwicklung" die Waldorfska Skola nochmals ein Jahr lang durch eine nun professionell zusammengestellte pädagogische Kommission zu begleiten und zu evaluieren.
Evaluierung und pädagogische Anerkennung der Waldorfschule
Dieses Evaluationsverfahren verlief äußerst positiv, nicht zuletzt durch die unermüdliche und aufopferungsvolle Hilfe von Prof. Slavica Basic, einer Erziehungswissenschaftlerin der Universität Zagreb, deren Anliegen es war und ist, der Waldorfpädagogik in der Öffentlichkeit wie auch im wissenschaftlichen Bereich den Platz zu erkämpfen, den sie verdient. Aufgrund dieser Expertise konnte die Schule im Januar 2000 unter der neuen Regierung endlich die offizielle rechtliche und pädagogische Anerkennung erhalten, die zugleich von entscheidender Bedeutung für alle zukünftigen Waldorfschulgründungen in Kroatien ist.
Noch immer kein Finanzregen
Wohl war die eisige Ministeriumskälte gewichen, aber der erhoffte milde Finanzregen blieb weiterhin aus. Sicher, das Ministerium hatte zugesichert, sich zu überlegen, wie die Finanzierungsfrage zu lösen sei – und überlegt immer noch. Es ist nicht allein der gute Wille, an dem es mangelt –, der Vorgänger des jetzigen Unterrichtsministers verzichtete sogar auf seinen Dienstwagen, um das dafür vorgesehene Geld der Waldorfschule zukommen zu lassen. Die ungeheure Staatsverschuldung und die dringend notwendige Beseitigung der Kriegsschäden geben dem Finanzministerium keinen allzu großen Spielraum. So war die inzwischen auf einhundertsiebzig Schülerinnen und Schüler in noch immer acht Klassen und achtzehn ausschließlich kroatische Lehrerinnen und Lehrer angewachsene Schule auch weiterhin auf Auslandshilfe angewiesen.
Weitere Waldorfinitiativen
Im Herbst 2000 wurde in Rijeka die zweite Waldorfschule gegründet, nachdem drei Jahre hindurch in zwei Kindergärten und in einer Freizeitschule Waldorfpädagogik praktiziert worden war. In Split konnten eigene, liebevoll renovierte Kindergartenräume in einer ehemaligen Kapelle bezogen werden, und in Dubrovnik begannen die Vorbereitungen zu einer Kindergartengründung. Ebenfalls im Herbst 2000 begann eine staatlich anerkannte dreijährige studien- und berufsbegleitende Ausbildung in Waldorfpädagogik für Kroatien und Bosnien in Zagreb, Split und Sarajevo. In der sozialpädagogischen Einrichtung "Nadomak Sunca" in Oprtalj/Istrien arbeiten Kroaten, Holländer, Deutsche, Bosnier und Slowenen zusammen und ermöglichen durch den Krieg verwaisten oder entwurzelten Kindern eine neue, lebenswerte Zukunft in familienähnlichen Hausgemeinschaften. In der heilpädagogischen Ganztags-Betreuungsstätte "Ozana" in Zagreb werden seelenpflegebedürftige Kinder seit 1992 mit großem Einsatz hingebungsvoll umsorgt.
Was ist daran nun besonders?
Meiner – vorsichtigen – Meinung nach – sind all diese Aktivitäten in Kroatien etwas Besonderes, denn vieles, was hier seelisch veranlagt ist, war zu vielen Angriffen (ideologischen, politischen und militärischen) ausgesetzt, als dass es hätte zum Blühen kommen können. Donner und Blitz setzten diesen Seelenkeimen heftig zu und hinterließen ihre zum Teil schrecklichen Spuren. So müssen alle Bemühungen hier im Land, so klein und zart sie momentan auch noch sein mögen, zugleich als heilende Impulse für die Zukunft gesehen werden.
TOBIAS RICHTER
Tobias Richter
Waldorflehrer, Schulberater in Zagreb, Dozent für Waldorfpädagogik in Kroatien und Wien.