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Pädagogische Inseln im Großstadtmoloch

(aus: Waldorfpädagogik weltweit, S. 178-179, Copyright-Hinweise beachten!)

Bereits 1954 trafen sich in São Paulo mehrere befreundete Immigrantenfamilien aus Deutschland, um sich mit den Grundlagen der Waldorfpädagogik zu beschäftigen. Auf einer bald darauf erfolgten Deutschlandreise überzeugte das Ehepaar Schmidt das Lehrer-Ehepaar Karl und Ida Ulrich in São Paulo die erste Waldorfschule zu gründen. Im Januar l956 kamen sie nach Brasilien und bereits am 27. Februar übernahm Karl Ulrich eine 1. Klasse mit 13 Schülern und Ida Ulrich die Kindergartengruppe mit 16 Kindern in der neu gegründeten Schule Higienópolis. Gleich nach dem ersten Johannifest wuchs die Zahl der Kinder der 1. Klasse auf 26: die Schule wurde zu einem Kulturzentrum. Karl Ulrich sorgte für musikalische Veranstaltungen mit Chor und Orchester, er gab Mal- und Plastizierkurse und er hielt Vorträge über Anthroposophie.

Beginn in Sao Paulo

Zunächst wollte man die Schule nur bis zur 4. Klasse aufbauen, aber als es so weit war, bestanden die dreißig Eltern darauf, die Klasse weiterzuführen. Der Andrang hörte nicht auf, und so reichte das Gebäude im Zentrum der Stadt bald nicht mehr aus. Daher kaufte der Trägerverein der Schule schon im Jahre 1958 ein größeres Grundstück im südlichen Teil der Stadt. Die Schule wurde doppelzügig und im Laufe der Jahre wurde ein Gebäude nach dem anderen gebaut. War der Hauptunterricht in den ersten Jahren noch auf Deutsch und nur die Fachstunden auf Portugiesisch, so kam man 1974 doch überein, auch den Hauptunterricht in der portugiesischen Landessprache zu geben und Deutsch und Englisch als Fremdsprachen einzuführen. Die Schule wurde am 1. Oktober 1957 als staatliche Schule bis zur 4. Klasse anerkannt, für die Mittelstufe einigte man sich auf die Anerkennung als der öffentlichen Schule "äquivalente" Schulform, um dem Waldorflehrplan folgen zu können. 1973 begann der Aufbau der Oberstufe, die inzwischen ebenfalls staatlich anerkannt ist.

Im Jahr 1996 wurde das brasilianische Erziehungsgesetz grundlegend geändert. Wichtige Anregungen für die Gesetzesänderungen stammen aus dem Delors-Bericht der UNESCO (1); das neue Gesetz ermöglicht große Freiheiten für den Lehrplan sowie die Anerkennung aller Sonderfächer, die Bestandteil der Waldorfpädagogik sind.

Mit der wachsenden Schule wurde eine Lehrerausbildung immer notwendiger. Anfänglich besuchten die künftigen Lehrerinnen und Lehrer noch das Waldorflehrerseminar in Stuttgart, Deutschland. Mit der Einführung der portugiesischen Sprache im Hauptunterricht wurde es notwendig, eine brasilianische Lehrerausbildung einzurichten. Aus Einführungskursen für Eltern, die vom Ehepaar Rudolf und Marianne Lanz organisiert wurden, entwickelte sich seit 1970 eine Ausbildungsstätte für Waldorflehrer. Seit 1998 ist dieses Lehrerseminar in São Paulo staatlich anerkannt und kann Diplome für Lehrer der Klassen eins bis acht ausstellen, mit denen dort ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer an jeder Grundschule und Hauptschule Brasiliens unterrichten können. Es bestehen vier weitere berufsbegleitende Ausbildungsstätten im Inneren des Landes.

Von der Emigrantenschule zur brasilianischen Schulbewegung

Im Laufe der Jahre, als immer mehr Kinder die Rudolf-Steiner-Schule, wie sie seit 1976 heißt, besuchen wollten, wurden weitere Waldorfschulen gegründet. Die zweite Waldorfschule in São Paulo, das "Colégio Micael", öffnete 1976 ihre Tore. Sie zog 1983 an den Rand der Stadt. Heute führt sie Klassen vom Kindergarten bis zur Oberstufe. 1983 gründeten zwei Kolleginnen der Rudolf-Steiner-Schule die "Escola Waldorf São Paulo", die ebenfalls vom Kindergarten bis zur Oberstufe führt.

Da die Stadt São Paulo riesengroß ist, im Jahr 2000 zählte sie etwa 20 Mio. Einwohner, wurde 1985 im Norden von São Paulo eine vierte Schule "Francisco de Assis" gegründet, die vorläufig nur eine Unter- und Mittelstufe hat.

In den 90er-Jahren sind sechs weitere Waldorfschulen im Innern des Staates São Paulo entstanden, drei weitere im Staat Minas Gerais, eine in Florianópolis im Süden, und eine in Cuiabá, im Westen des Landes, deren Oberstufe ein ökologisches Projekt betreibt und eine Berufsausbildung zum "Landschafts- und Ökologieberater" entwickelt hat. Außerdem gibt es eine Schule in Fortaleza, im Nordosten des Landes, eine Neugründung in der Hauptstadt des Landes, Brasilia, sowie eine Schule in Nova Friburgo, Rio de Janeiro.

Waldorfpädagogik und Sozialarbeit in der Favela

Außer der bewundernswerten Sozialarbeit, die im "Centro Comunitário Monte Azul" von Ute Craemer und ihren Mitarbeitern seit 1973 geleistet wird, und der Sozialarbeit des "Colégio Waldorf Micael" in São Paulo, das mit armen Kindern aus der Umgebung arbeitet, gibt es weitere Initiativen, die sich unterprivilegierten Kindern widmen.

In der Waldorfschule "Vale de Luz" in Nova Friburgo werden sowohl Favelakinder (80 Prozent), als auch Kinder aus der Stadt (20 Prozent) unterrichtet; die Schule "Araucária" in Camanducaia arbeitet mit Kindern armer Kartoffelpflanzer und Kleinbauern und das Projeto Salvador in Salvador de Bahia bietet künstlerische Aktivitäten für Kinder aus armen Bevölkerungsschichten an. Die Initiative CREAR (Centro Recreativo Educacional Artistico Renascer) in Capão Bonito, arbeitet ebenfalls mit Favelakindern. Alle diese Initiativen werden durch individuelle Freundeskreise in Brasilien und im Ausland und durch die Freunde der Erziehungskunst unterstützt.

Heilpädagogik steckt noch in den Kinderschuhen

Ein weiteres Feld, das noch stärkerer Entwicklung bedarf, ist die Heilpädagogik, welche noch im Anfangsstadium steckt. Die Waldorfpädagogik in Brasilien genießt in der öffentlichen Meinung großes Ansehen, das Waldorflehrerseminar in São Paulo ist staatlich anerkannt. In Zukunft kann man damit rechnen, dass immer mehr an Pädagogik interessierte Menschen Waldorfpädagogik kennen und verstehen lernen.

ELEONORE POLLKLAESNER

1 Jacques Delors, Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum. UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert. Luchterhand, Berlin 1997.

"Associação Comunitária Monte Azul"
Die "Associação Comunitária Monte Azul" arbeitet seit 1973 in drei Elendsvierteln der Stadt São Paulo in Brasilien, und zwar im pädagogischen, medizinischen, kulturellen und allgemein sozialen Bereich. Kindertagesstätten, Lehrwerkstätten, eine Behindertenschule, eine Gesundheitsstation, ein Kulturzentrum geben mehr als tausend Kindern und Jugendlichen eine Chance, ihre Begabungen zu verwirklichen, ihrer Menschenwürde gemäß zu leben und ihre Favela-Umgebung zu verwandeln. Die Arbeit basiert auf der Waldorfpädagogik, der anthroposophisch erweiterten Medizin und den sozialen Ideen Rudolf Steiners. Inspirationsquellen sind auf der einen Seite die Anthroposophie, auf der anderen Seite das innige Zusammenleben und Beobachten der Realität der Favela, der Großstadt São Paulo und Brasiliens als Teil der Menschheit.


UTE CRAEMER

Eleonore Pollklaesner
Klassenlehrerin an der Schule São Paulo.Vorsitzende des Bundes der Freien Waldorfschulen in Brasilien und Beratung von neuen Waldorfschulinitiativen.

Ute Craemer
Studium der Waldorfpädagogik. Lehrerin in Paris und São Paulo. Seit 1979 Aufbau eines pädagogisch-sozialen Zentrums in der Favela Monte Azul.

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