Zu Bildungserfolgen ehemaliger Waldorfschüler
(aus: Waldorfpädagogik weltweit, S. 34-35, Copyright-Hinweise beachten!)
Schulen wie die Waldorfschulen werden permanent evaluiert, nicht nur durch staatliche Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden, durch staatlich anerkannte oder unter staatlicher Aufsicht zu erfolgende Abschlussprüfungen, sondern auch durch die freie Schulwahl der Eltern, die ein unmittelbares und konkretes Interesse am zukünftigen Erfolg ihrer Kinder und meist ein waches Einschätzen des Bildungswesens haben.
Besondere Schulen mit eigenem Profil, wie vor allem Reformschulen und Schulen in eigener Trägerschaft, stehen stärker unter Druck ihre Erfolge nachzuweisen, als die staatlichen Regelschulen. Aber auch diese können durch internationale Vergleichsstudien (wie TIMSS)1 zunehmend Evaluationszwänge erfahren. Daher haben Reformschulen schon immer ihre Leistungen nachzuweisen versucht, vor allem im Hinblick darauf, dass sie dieselben Leistungsfähigkeiten erreichen wie die Regelschulen (vgl. die erste und bis heute umfassendste Studie überhaupt, die der Waldorfschulen: Hofmann u. a. 1981), weniger dagegen sind ihre besonderen Leistungen herausgestellt worden.
Schulen wie die Waldorfschulen werden seit ihrer Gründung permanent evaluiert, nicht nur durch staatliche Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden, durch staatlich anerkannte oder unter staatlicher Aufsicht zu erfolgende Abschlussprüfungen, sondern auch durch die freie Schulwahl der Eltern, die ein unmittelbares und konkretes Interesse am zukünftigen Erfolg ihrer Kinder und meist ein waches Einschätzen des Bildungswesens haben. Die Elternwahl selbst ist also Ausdruck einer vollzogenen Evaluation.
Bis heute sind wissenschaftlich verlässliche empirische Untersuchungen selten. Da sie eine gewisse Entwicklung von Schulen voraussetzen, zusätzlicher Ressourcen bedürfen und unterstützendes Interesse von Administrationen und Wissenschaft finden müssen, liegen uns bisher nur Studien aus Ländern mit langer Waldorftradition und vielen Schulen vor. Aus Ländern in Südeuropa, Osteuropa, Asien, Südamerika und Afrika sind sie verständlicherweise noch nicht zu erwarten. Es hat sich aber gezeigt, dass die Trends der Ergebnisse durchaus auch in neuen Waldorfschulen erwartet werden können (mündliche Auskunft aus Tschechien), auch wenn Ergebnisse jeweils nur gelten können für ein Land, die untersuchte Generation, aufgrund bestimmter Erhebungsmethoden. Zudem müssten sie eigentlich repräsentativ sein, die Ergebnisse mit denen anderer Schulen vergleichen und zu einem Zeitpunkt stattfinden, der für das weitere Berufsleben entscheidend ist. Daraus folgt schon, dass die Ergebnisse für bestimmte Jahrgänge erst 30 bis 35 Jahre nach ihrer Geburt vorliegen können. Es ist aber davon auszugehen, dass nach einem solchen Zeitraum tief greifende Veränderungen der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung stattgefunden haben und die Ergebnisse daher keine sichere Grundlage mehr für die Bewertung einer Schule im Blick auf die Gegenwart und Zukunft bieten, ebenso wenig wie für ein individuelles Kind.
Es scheint mir vernünftiger, solche Grenzen der Aussagefähigkeit bewusst zu halten, als plakative Ergebnisse von im Einzelnen nicht voll verlässlichen Studien herauszustellen.
Die vorliegenden Untersuchungen geben auf einige sorgende Fragen von Interessierten beruhigende Antworten, etwa zum akademischen Leistungsniveau beim Abschluss und zur Entwicklung der Persönlichkeit, auf andere Fragen etwa zum Spektrum der Berufswahlen und Berufserfolge wenigstens wichtige Hinweise. Auf eine dritte Gruppe von Fragen (etwa: was und wer genau wirkt pädagogisch fruchtbar? Gibt es überhaupt charakteristische Defizite, wie oft behauptet?) gibt es noch keine wissenschaftlich verlässlichen Antworten.
Alle empirisch-quantitativen Studien2 (von kleineren Gruppen < 100 Absolventen bis zu ganzen Jahrgängen > 1000) belegen insgesamt, dass ehemalige Waldorfschüler überwiegend (Deutschland, Schweden: 60-80 %) gerne zur Schule gegangen sind und auch ihre Kinder wieder auf Waldorfschulen schicken würden.
Als Maß für akademischen Schulerfolg wird häufig Art und Höhe des Schulabschlusses betrachtet. Dies variiert naturgemäß in allen Ländern nach Dauer der Schulzeit, der möglichen Klassenstufen in Waldorfschulen und wäre immer mit den lokalen Standards anderer Schulen und Schulabgänger zu vergleichen.
Aber es kann generell gesagt werden, dass Waldorfschüler immer prozentual vergleichbar hohe Abschlüsse erlangen (mindestens 25 %, aber auch 60 % einer Klasse Hochschulabschlüsse), aber auch bei anschließenden nicht universitären, gehobenen Berufsausbildungen. Waldorfschüler können nach der Liste ehemaliger Waldorfschüler aus Den Haag, Niederlande, in praktisch allen Berufen gefunden werden, mit gewissen Tendenzen zu sozial orientierten Berufen. Wichtig können auch Daten zur realen Lebenssituation bzw. deren Einschätzung sein. Es gibt Hinweise auf Zufriedenheit mit der Lebenssituation (Schweden: 87 % sehr gut und gut) und Erfolg im Beruf, Erreichung der Wunschausbildung bzw. des Wunschberufs (Schweiz: 80 %) sowie auf geringere Arbeitslosigkeit im Vergleich des Jahrgangs: (Dänemark, Norwegen).
Zusätzlich zu diesen Hinweisen geben qualitative Untersuchungen3 auch detaillierte Erklärungen wie die Ausbildung der wichtigen sozialen Kompetenzen von Verantwortung und Initiative. Einzelbeispiele zeigen eine ganzheitliche Arbeitsauffassung, die in modernen, auf Selbstverantwortung setzenden Betrieben von hoher Bedeutung und Erfolg sein kann (Beispiel Pflegedienstdirektor in Gessler 1988). Nicht zuletzt scheint die Gesundheit von Waldorfschülern z. T. besser zu sein4 als in der Regelschule; ebenso wie Waldorfschüler schon zur Schulzeit zufriedener mit ihrer Schule sind, als es vergleichbare Ergebnisse anderer Schulen5 zeigen.
Es liegt nahe, die im Ganzen positiven Ergebnisse aus der Pädagogik der Waldorfschule selbst zu erklären: Ihre Autonomie6 intensiviert alle Kräfte der Selbstverantwortung und des Engagements, sie selbst ist für die Schüler ein erlebbares und langfristig wirkendes Modell moderner Wirtschafts- und Dienstleistungsformen. Sie bildet die in medienorientierten Umwelten immer wichtiger werdenden Erfahrungsfähigkeiten sorgfältig aus und entwickelt ganzheitlich physische, psychische und mentale Kräfte und Fähigkeiten. Individuelle Erfahrungsberichte und biografische Portraits bei ausgewählten Personen (Holland > 300 Berufe) bestätigen dies, aber empirisch-wissenschaftlich kann dies auch mit anderen Faktoren wie Schichtzugehörigkeit, Präselektion und wertorientierten Milieus zusammenhängen. Dies kann aber nicht als Einwand gegen die Leistungen der Waldorfschule verwandt werden. Einmal gibt es auch erfolgreiche Schulen mit gleichem sozialem Profil. Und forschungsmethodologisch gesehen halte ich dies allerdings nicht einfach für eine Wirkung aufgrund der Eltern (technisch: unabhängige Variable), sondern ebenfalls für eine Wirkung der Waldorfpädagogik; sie zieht diejenigen, die eine qualitativ profilierte Bildung wollen und unterstützen, an und verstärkt so ihre langfristigen Wirkungen. Wesentlich aber erscheint mir, dass auch für die Zukunft die materiellen (staatliche Substitution) und psychisch mentalen (spezielle Orientierung, u.a. Lehrerbildung) Voraussetzungen gesichert werden.
HARM PASCHEN
1 Third International Mathematical and Science Study (8. und 12. Klasse).
2 Etwa 10 Studien. Die wichtigsten vielleicht: Hofmann u. a. 1981, Jackson 1996, EFRSTSP 1996, Thomas 1999.
3 Etwa 5 Studien. Die wichtigsten vielleicht: Gessler 1988, Masterson, o. J.
4 vgl. Zdrazil 2001
5 vgl. Randoll 1999
6 vgl. Götte 2001
Literaturverzeichnis:
• Arvar, F. / Öhmann, II: Kristofferskolan, en utvördering fran tidigare elever (Die Kristofferschule: Eine Auswertung ehemaliger Schüler). Stockholm 1994
• Brater, M. / Wehle, E.-V.: Bildungs- und Berufsbiographien ehemaliger Kasseler Waldorfschüler. Erfahrungen mit der Integration beruflicher und allgemeiner Bildung in der Freien Waldorfschule Kassel. Nachbefragung von Absolventen einfach- und doppelqualifizierter Ausbildungsgänge. Frankfurt 1982.
• Bruijn, M.A. de: Spiegelend Perspectief. De Vrije School Den Haag 70 jaar. Levenservaringen en reacties van oud-leerlingen op hun vroegere school (Lebenserfahrungen und Reaktionen ehemaliger Schüler auf ihre frühere Schule). Den Haag 1993.
• EFRSTSP (European Federation of Rudolf Steiner / Waldorf school parents, Hrsg.): After school. Careers of former Waldorf / Rudolf Steiner school students o.0., 1996
• Gessler, I.: Bildungserfolg im Spiegel von Bildungsbiographien: Begegnungen mit Schülerinnen und Schülern der Hibernia-Schule (Wanne-Eickel). Frankfurt a. M.1988.
• Götte, W.: Die Geschichte der Waldorfschulen als Autonomieerfahrung. Diss. Bielefeld 2001.
• Hofmann, U. / Prümmer, C. v. / Weidner, D. (Bearbeiter): Forschungsbericht über Bildungslebensläufe ehemaliger Waldorfschüler. Eine Untersuchung der Geburtsjahrgänge 1946 und 1947. Stuttgart 1981.
• Jackson, B.: Old Scholars Research. A report produced for the steiner schools fellowship in December 1995. Forest Row 1996.
• Kemp, G.: Graduate Survey 1994. Hrsg. von Association of Waldorf Schools of North America, 1994.
• Masterson, M. (Projekt-Manager): Learning to Learn. Interviews with Graduates of Waldorf Schools, o. 0., (AWSNA Publications, 3911 Bannister Rd., Fair Oaks, CA 95628, USA).
• Randoll, Dirk: Waldorfpädagogik auf dem Prüfstand: auch eine Herausforderung an das öffentliche Schulwesen?; mit einer vergleichenden Untersuchung zur Wahrnehmung von Schule durch Abiturienten aus Freien Waldorfschulen und aus staatlichen Gymnasien. Berlin 1999.
• Rudolf Steiner School in Odense: Investigation of Class Twelve Leavers. What do the Students do after Class Twelve? (Die Rudolf-Steiner-Schule in Odense. Untersuchung der Absolventen der 12. Klasse. Was wird aus den Schülern nach der 12. Klasse?). Odense 1992.
• Rudolf Steiner School i Norge: En sporreundersokelse blant elever som har fullfort Steinerskolens videregaende trinn (Rudolf-Steiner-Schule in Norwegen: Eine Umfrage unter Steiner-Schülern der Oberstufenklassen). Oslo 1995.
• Thomas, R. (Hrsg.): Befragung ehemaliger Schülerinnen und Schüler von Rudolf-Steiner-Schulen in der Schweiz. Eine Laufbahnuntersuchung. Ausgeführt durch das Büro für Bildungsfragen Kilchberg / ZH. Zürich 1999
• van der A. Marjan: Onderzoek naar schoolverlaters aan het einde van de Vrije School tijd. Niederlande, 1991
• Viinisalo, K.: Steiner School and Research. Helsinki 1982
• Zdrazil, Tomas: Gesundheitsförderung und Waldorfpädagogik (eingereichte Diss. Bielefeld 2001)
Harm Paschen
geb. 1937 in der Schweiz, aufgewachsen in Hamburg. Studium der Germanistik, Geographie und Pädagogik in Hamburg und USA. 1971-1980 Prof. an der pädagogischen Hochschule Kiel, seit 1981 Lehrstuhl für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld. Wissenschaftliche Schwerpunkte: Pädagogiken, pädagogische Argumentation. Langjährig Elternvertreter und Mitglied im Ausbildungsrat der Waldorfschulen.