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Das Zentrum für Erziehungskunst in St. Petersburg

Die 1994 gegründete Waldorfschule „Zentrum für Erziehungskunst“ ist mit 98 Kindern in elf Klassen eine anerkannte Privatschule, die dieses Jahr nur noch unter großen Mühen und viel Papier-Arbeit staatliche Unterstützung bekam (ca. 16% des Budgets). Wenn sie nach langem Warten demnächst an einen deutlich besseren Standort umziehen kann, wird sich die Schülerzahl schrittweise verdoppeln – die finanziellen Sorgen aber bleiben... 

Liebe Freunde auf der ganzen Welt! Wir möchten uns vorstellen – die Freie Waldorfschule „Zentrum für Erziehungskunst“ in St. Petersburg, Rußland. Wir sind eine von zwei Waldorfschulen in St. Petersburg und die einzige private. Wir sind vom Staat anerkannt und dürfen offizielle Abschlußzeugnisse erteilen. Unsere Schule ist 13 Jahre alt, und zwei Jahrgänge haben schon ihren Abschluß gemacht. Gerne möchten wir Ihnen nun unsere Geschichte erzählen und unsere Erfahrungen mit Ihnen teilen.

Wir begannen im Jahr 1994 mit einer Klasse 7-jähriger Kinder und ihrer Lehrerin Irina Khanukova. Zusammen mit ihr haben die Schule aufgebaut: Marion Fischbach, Marianna Tukachjova, Galina Nekhludova, Siegfried Hendler, Cornelia Hahn und viele andere. Schritt für Schritt wuchsen wir jedes Jahr um eine neue Klasse – und nun haben wir 11 Klassen, wie es in Russland üblich ist. Dennoch haben wir die Idee zu einer 12. Klasse, wie sie fast alle Waldorfschulen weltweit haben, nie aus den Augen verloren.

Wir sind sehr dankbar, daß viele Menschen diese ganze Entwicklung möglich gemacht haben: Die Eltern, die eine solche Schule wollten. Zum Beispiel die Familie Smirnov, deren Tochter inzwischen ihr Examen gemacht hat, während drei jüngere Geschwister noch bei uns sind und das fünfte und sechste Kind im Herbst in die 1. Klasse und in den Kindergarten kommen... Außerdem Irina Volkova und Irina Kadyrova, die sich nach außen und nach innen um die rechtlichen und finanziellen Fragen kümmern. Und natürlich alle Lehrer, die die Waldorfpädagogik täglich neu ins Leben rufen.

Wie wir leben

Unser Schultag verläuft wie in den Waldorfschulen überall auf der Welt. Der Hauptunterricht beginnt morgens für alle 11 Klassen. Die jüngeren Schüler lernen Formenzeichnen und Gedichte, schreiben und lesen, rechnen und messen, singen und Flöte spielen, zuhören und in ihren Heften zu arbeiten. Die älteren Schüler begegnen den Naturwissenschaften, der Literatur, der Geschichte... Unsere Oberstufe ist nicht sehr groß, in den beiden obersten Klassen sind nur je 3 Schüler, was das Lernen und den Unterricht sehr speziell macht.

Nach dem Hauptunterricht und der Mittagspause ist Zeit für Musik und Malen, Zeichnen und Nähen, Fremdsprachen und Handarbeit, Eurythmie und Gymnastik. Natürlich versuchen wir, unseren Stundenplan im Hinblick auf alle drei Glieder des Menschen – Geist, Seele, Leib – aufzubauen, aber das ist wegen der gegenwärtigen Umstände hier nicht so einfach. Wir versuchen auch unser Bestes, um den Unterricht in vernünftigem Gleichgewicht zwischen dem Waldorf- und dem staatlichen Lehrplan zu halten, was ebenfalls nicht einfach ist.

Theater und Schulchor, Ausflüge für landwirtschaftliche Aktivitäten und Astronomie unter dem weiten russischen Himmel, Zusammenarbeit mit anderen Schulen in Feldmeßpraktika – all das tun wir, um die Schulbildung praktischer, interessant und effektiv zu gestalten.

Natürlich ist unser Stundenplan nicht der einzige Teil unseres vielfältigen und aufregenden Schullebens.

Während der letzten zwei Jahre haben sich mehrere Schulprojekte zusammen mit deutschen Waldorfschülern aus Hamburg entwickelt. Wichtige Arbeit in bezug auf die Probleme obdachloser Menschen und Kinder wurde geleistet. Unsere Oberstufenschüler empfingen ihre Altersgenossen in St. Petersburg und besuchten danach Hamburg, um an ihrem Projekt weiterzuarbeiten. Bei uns besuchten unsere Schüler ein Asyl für Obdachlose, sammelten Kleidung und Essen für sie und halfen, den neuen Platz für dieses Asyl zu dekorieren.
Russische und deutsche Teenager verbrachten dann eine Woche in einem ländlichen Dorf mit vielen gemeinsamen Aktivitäten unter ungewohnten Bedingungen: Sie schliefen in Zelten, holten von weither Wasser, kämpften mit Mücken... Und keine der Schwierigkeiten konnte die echten Freundschaften zerstören, die hier geboren wurden.

Am selben Ort finden nun auch Sommerlager statt, wo unsere Kinder mit erfahrenden Lehrern lernen können, wie man ein Segelboot baut, im Fluß schwimmen können, bei der Arbeit im Garten und mit Tieren helfen – und Erholung von der lauten und streßvollen Großstadt finden.

Unsere Schulfeste

Die Jahresfeste sind bei uns zu einer guten, beliebten Tradition geworden:

- Zu Michaeli machen wir meist einen Ausflug mit der ganzen Schule und veranstalten im Wald verschiedene Wettkämpfe, die die älteren für die jüngeren Schüler organisieren.
- Die Weihnachtsspiele werden von Lehrern und Eltern mit großer Freude und Begeisterung aufgeführt.
- Sehr beliebt ist die traditionelle russische „Maslenitsa“, wo der Winter verabschiedet und der Frühling begrüßt wird – mit Pfannkuchen, Schneeballschlachten, Gesang und Tanz und dem Verbrennen einer Strohfigur des Winters. Jedes Jahr kommen dazu auch mehr Gäste unserer 5-Millionen-Stadt.
- Das Ende des Schuljahres begehen wir mit einem traditionellen Sommer-Picknick.
- Dazu kommen mehrere „kleinere“, aber nicht weniger wichtige Feste, wie das Laternenfest für die Kleinen im November oder die traditionelle Adventsspirale Anfang Dezember.

Theaterprojekte und „Basare“

Theaterprojekte sind bei uns auch eine gute Tradition geworden. Legenden und Fabeln, Dramen und Opern, Zirkusvorstellungen und Shakespeares Komödien wurden seit unseren allerersten Tagen aufgeführt. Im November 2005 gingen unsere 11.-Klässler mit einer Bühnenversion von Andersens Märchen „Moorkönigs Tochter“ nach Dänemark. Diese Aufführung und ein Eurythmie-Programm zeigten sie dann an vier Waldorfschulen im Mutterland dieses großen Dichters. Wir verbrachten eine Woche in einem kleinen dänischen Dorf, besuchten den Geburtsort von Andersen und gewannen viele neue Freunde.

Unsere „Basare“ ziehen viele Gäste aus der ganzen Stadt an. Mehrere Wochen vor Weihnachten und Ostern machen wir ganztägige Workshops, um Geschenke herzustellen. Jedes Kind und jeder Erwachsene hat dann die schöne Gelegenheit, einen Becher zu bemalen, ein Wolltier zu machen, mit Kupfer zu arbeiten, eine Grußkarte zu dekorieren, ein Konzert zu besuchen, eine Kleinigkeit im von Eltern betriebenen Café zu essen und vieles andere. Diese besonderen Tage sind nicht nur eine Attraktion für die Besucher und eine gute Werbung für unsere Schule, sondern auch eine Quelle lebenswichtiger Finanzen.

Was ist eine „Waldorfschule“ in Russland?

Zu dieser Frage gibt es viele widersprüchliche Meinungen, zum Beispiel: „Der einzige alternative Weg von Erziehung“, „ungewöhnlich, seltsam und verdächtig“, „menschliche, am Kind orientierte Erziehung“, „nicht genug intellektuelle Entwicklung“, „innovative pädagogische Methoden“, „zu religiös“, „abweichend vom orthodoxen Glauben“ etc. etc. etc.

Russische Erziehungsmethoden haben sich seit Jahrhunderten nicht verändert... Für manche Offizielle und Bürokraten bilden Waldorfschulen eine Art Stachel im Fleisch. Für die anderen bedeuten sie einen fortschrittlichen pädagogischen Ansatz. Glücklicherweise wurden spezielle Lehrpläne für Waldorfschulen kürzlich von den höchsten Erziehungsbehörden akzeptiert. Waldorfschulen haben anerkanntermaßen die gleichen Rechte wie „gewöhnliche“ Schulen, obwohl bestimmte Elemente dennoch nicht umgesetzt werden können. Am unmöglichsten umzusetzen sind: Ein Klassenlehrer für acht Jahre, keine Noten bis zur 9. Klasse, Epochen für „intellektuelle“ Fächer. Auch 12 Jahre Schule ist nicht üblich, obwohl es von Zeit zu Zeit diskutiert wird.

Das Hauptproblem ist, daß die „besten“ russischen Schulen nicht das Ziel haben, das menschliche Wesen zu entwickeln und dem Kind zu helfen, seinen eigenen Platz in der Welt zu finden. Das wichtigste Kriterium für eine „schlechte“ oder eine „gute“ Schule ist die Anzahl der Absolventen, die in die Universität eintreten.

Bildungsstandards in Russland sind sehr streng und komplex. Wenn unsere Kinder in die Oberstufe kommen, müssen wir die Balance zwischen diesen Standards und der Waldorfpädagogik finden. Um es offen auszusprechen, haben wir mit der Situation in unseren Oberstufenklassen keinen Erfolg gehabt. Wir würden gern größere Klassen haben und den Schülern die Möglichkeit geben, mit Absolventen der Staatsschulen in jedem Sinne wettbewerbsfähig zu
werden.

Zweifellos folgen wir Rudolf Steiners Ideen einer gesunden menschlichen Entwicklung mit allen nötigen und vernünftigen Kompromissen. Wir schauen mit großer Aufmerksamkeit und Interesse auf jedes Kind, wir träumen von Veränderungen im russischen Bildungssystem, die die Schulen einer wirklich menschlichen Erziehung näherbringen. Und wir glauben, daß jeder von uns einen guten Beitrag zu diesem nicht leichten Prozeß leisten kann.

Wie wir überleben

Im Moment haben wir wie gesagt 98 Kinder in 11 Klassen. Die Klassen sind also nicht groß – von 3 bis 16 Schülern. Dies liegt vor allem an unsren Örtlichkeiten. Derzeit mieten wir noch ein Schulgebäude von der Stadt, das sehr weit vom Zentrum und von jeder U-Bahn-Station entfernt in einem Bezirk liegt, in dem keiner unserer Schüler oder Lehrer wohnt. Sie alle kommen aus der ganzen Stadt, und für manche dauert der Schulweg 1½ Stunden. Das ist der Grund, warum viele Eltern ihre Kinder nicht für die erste Klasse anmelden, obwohl sie es täten, wenn der Schulweg kürzer wäre.

Es gibt aber ein neues Gebäude, das über mehrere Jahre umgebaut wurde, und unsere große Hoffnung ist, das nächste Schuljahr dort zu beginnen. Wir müssen aber noch finanzielle Mittel finden, um Möbel und Einrichtung kaufen zu können – auch um die staatlichen Standards zu erfüllen. Wenn wir im September umziehen können, werden wir viele neue Kinder bekommen.

Da wir versuchen, die grundlegenden Ideen und Methoden der Waldorfpädagogik zu verfolgen, müssen wir als Privatschule existieren, denn Staatsschulen müssen strengen Auflagen gehorchen, z.B. Zensuren ab der 1. Klasse usw.

Heutzutage bedeutet das Dasein als Privatschule in Russland, daß man keinerlei finanzielle Unterstützung vom Staat erhält. Bis vor kurzem bekamen wir immerhin noch rund 16% des Budgets, aber auch dies wurde vor einem Jahr gestrichen.

Als Mitglieder der Vereinigung Privater Schulen und mit Hilfe dieser Organisation und unserer aktiven Eltern wurde die Schule in den Budgetplan der Stadt aufgenommen. Im Moment stellen wir die notwendigen Unterlagen zusammen.

Die Kosten unserer Schule liegen pro Schüler bei 6000 Rubel im Monat, das sind etwa 175 Euro. Das ist sehr viel Geld für einige Familien, auch wenn es im Vergleich zu anderen Privatschulen nicht sehr viel ist (die meisten kosten über 300 Euro und sind auf reiche Familien ausgerichtet). Die meisten unserer Familien kommen aus der Mittelklasse, aber ein Drittel kann das Schulgeld nicht bezahlen, und für sie haben wir es auf rund 70 Euro reduziert. 5% unserer Eltern können dagegen etwas mehr bezahlen.

Die Lehrergehälter betragen zunächst 100 Rubel (2,70 Euro) pro Unterrichtsstunde. Natürlich hat jeder einige Extrapflichten, und so liegt das mittlere Gehalt bei 10.000 Rubel (270 Euro). Der Durchschnitt in St. Petersburg liegt dagegen bei 15.000 Rubel (400 Euro). Die meisten unserer Kollegen sind Frauen, und ein Viertel sind alleinerziehende Mütter. Unsere Gehälter richten sich dabei auch nach den persönlichen Lebensumständen.

Wir gaben unseren Lehrern gewöhnlich jede Gelegenheit, um sich und ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Wir ließen keine Chance aus, sie zu Seminaren und Konferenzen in Russland und sogar im Ausland zu schicken, doch inzwischen müssen wir dies mehr und mehr ablehnen. Manchmal stellen unsere Kollegen Anträge bei verschiedenen Stiftungen.

Da wir unser Leben auf den Ideen von Rudolf Steiner begründen, versuchen wir, sie unter realen Umständen in die Praxis umzusetzen, zu entwickeln und in Übereinstimmung mit den Merkmalen des modernen Lebens zu bereichern. Unser Kollegium vereint Menschen, die von der spirituellen Grundlage unserer Pädagogik inspiriert sind. Viele von ihnen arbeiten hier seit dem ersten Tag, die anderen kamen später dazu und fühlten sich in der kreativen und familiären Atmosphäre gleich zuhause. Das gegenseitige Verständnis, die Fähigkeit, einander zuzuhören und die Sichtweise des anderen zu akzeptieren, die Kreativität und der Mut jedes einzelnen helfen uns, auch angesichts aller Schwierigkeiten auszuhalten...

Unsere Hoffnungen

Wir hoffen ...
... bald in unser neues Gebäude umziehen zu können;
... eine volle 12-jährige Schule zu haben;
... viele neue Eltern zu gewinnen, die ihre Kinder bewußt zu uns schicken;
... viele junge und aktive Lehrer zu gewinnen;
... den ganzen Waldorflehrplan verwirklichen zu können;
... irgendwann Schmieden, Weben und ein großes Schulorchester zu haben;
... unsere Absolventen als Kollegen und ihre Kinder als neue Schüler begrüßen zu können;
... Freunde auf der ganzen Welt zu finden und kreative Beziehungen mit Waldorflehrern anderer Länder aufzubauen;
... daß die Waldorfbewegung überall auf der Welt wächst und stärker wird, weil sie Heilung bringt für unsere moderne Gesellschaft, die unter vielen sozialen Krankheiten leidet.

Irina Kadyrowa

Ein freudiger Brief vom 19.12.2007

Unsere wichtigste Neuigkeit - wir sind umgezogen!
Zwar bewohnen wir erst 2,5 Etagen, der Rest wird erst im Sommer 2008 fertig sein; und sogar diese 2,5 Etagen konnten wir erst schrittweise im Herbst beziehen. Im September haben wir teilweise in Wohnungen unterrichtet, in Datschen, auf Ausflügen, im Oktober in zwei Schichten. Die Heizung funktioniert erst seit Mitte November (da waren es draußen schon -5°C)...
Aber trotzdem sind wir sehr froh: die Kinder, die Eltern und die Lehrer.
Grade erst fand in unserem schönen Haus der erste Weihnachtsmarkt statt, und es waren viele Gäste da. Wir freuen uns sehr, dass an diesem neuen Ort jeden Monat neue Schüler zu uns kommen.
Endlich konnte auch unser Kindergarten wieder eröffnen, vorläufig in einem Raum der Schule und nur mit einer Gruppe. Auch die Vortragsreihe für Eltern hat mit bisher schon drei Vorträgen begonnen.
In dieser weihnachtlichen Zeit möchten wir uns gerne bei allen herzlich bedanken, die uns diese Freude ermöglicht haben: Marion Fischbach, Cornelia Hahn, Stiftung „Columban“, die „Freunde der Erziehungskunst sowie viele, viele Menschen und Organisationen, die uns bei der Realisation dieses riesigen Projektes unterstützt haben.
Die Schulgemeinschaft des Zentrum für Erziehungskunst

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Häufiggestellte Fragen über den Freiwilligendienst