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Die Waldorfschulen östlich von Deutschland

Der folgende Blick nach Osteuropa basiert auf den Berichten der Schulbegleiter, die auf Anfrage in gemeinsamer Verantwortung der „Freunde der Erziehungskunst“, der IAO und der Pädagogischen Sektion seit vielen Jahren Aufbauhilfe leisten, und auf Berichten von Vertretern der jeweiligen Landes-Assoziationen.

In diesen Wochen feiert manche Waldorfschule in den ehemals kommunistisch regierten Ländern bereits ihr 15-jähriges (oder sogar längeres) Bestehen. Viele Menschen haben durch ihren großen, teilweise existenziellen Einsatz Waldorfinitiativen in Gesellschaften etabliert, in denen zivile Initiativen über Generationen hin sanktioniert wurden. Ihrer Begeisterung, Durchhaltekraft und Lebenskunst vor allem ist es zu danken, dass heute Kinder an rund 100 Orten – trotz aller Schwierigkeiten – Lehrerinnen und Lehrern begegnen, die Lernen als Persönlichkeitsbildung in Achtung vor dem Individuum begreifen.

Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien

Von den weiter (süd)östlich gelegenen Ländern unterscheiden sich Ungarn und Tschechien nicht nur wirtschaftlich, sondern auch beim Aufbau einer offeneren Gesellschaft, die eigenverantwortete Initiativen ermöglicht oder zumindest duldet. Aufbauend auf den schon vorher im Untergrund arbeitenden anthroposophischen Initiativen entstanden Waldorfschulen, die im Rahmen der staatlichen Schulsysteme die allgemeine Existenzsicherheit auf einfachem, bescheidenem Niveau teilen.

Beide Länder-Assoziationen realisieren heute weitgehend selbständig die Aus- und Fortbildung sowie die schulpolitischen Aktivitäten. Sie und die einzelnen Schulen arbeiten mit den internationalen Organisationen und westlichen Stiftungen bei der Gebäudesanierung, Schuleinrichtung, Lehrerbildung und Vertiefung der Waldorfpädagogik souverän zusammen. Sie erbitten Hilfe gezielt, leisten vieles aus eigenen Kräften, bedürfen aber bei wirtschaftlich größeren Maßnahmen oder bei der Lehrerbildung für Mittel- und Oberstufenklassen der Unterstützung ihrer westlichen Partner und Kollegen.

In Slowenien vermittelt die Waldorfschule Ljubljana einen ähnlich hoffnungsvollen Eindruck. Mitten in der Altstadt gelegen, organisiert sie in zahlreichen internationalen Kontakten ihre Schulentwicklung und Lehrerbildung. Eine Zweigschule in Maribor befindet sich im Aufbau.

In der Slowakei konnte die Waldorfschule in Bratislava bis zur Mittelstufe aufgebaut werden. Mit einem dreijährigen periodischen Kurs, der in Zusammenarbeit mit der Initiativgruppe aus Kosice in diesem Herbst erfolgreich zu Ende geführt wird, sollen Menschen gewonnen werden, die weitere Initiativen aufbauen.

Etwas schwieriger ist die Situation in Polen. Hier entstand eine stabile Kindergartenbewegung, doch die vier Waldorfschulen ringen mit gesellschaftlicher und staatlicher Akzeptanz und können sich nur mühsam mit geringen Schülerzahlen behaupten. Dies liegt sowohl am Argwohn der einflussreichen katholische Kirche (wobei die Situation in Krakau zeigt, dass sich Vertrauen auf lokaler Ebene durchaus herstellen lässt), als auch daran, dass es nicht gelang Waldorfpädagogik als zeitgemäßen Bildungsweg ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.

Rumänien, Bulgarien, Moldawien

In Rumänien kämpfen die Waldorfschulen mit einem immer noch sehr zentralistisch und streng reglementierten Bildungswesen. Die staatlichen Waldorfschulen bekommen Lehrer durch die Behörde zugeteilt, dürfen nur in den unteren Klassen das Klassenlehrerprinzip verwirklichen und sind ab der Mittelstufe den staatlichen Standards unterworfen.

In den letzten Jahren wurden durch zähen Einsatz in Zusammenarbeit mit der IAO zahlreiche Lehrer weitergebildet, so dass Waldorfpädagogik auch in den mittleren und höheren Klassen langsam auf besserem Niveau verwirklicht werden kann. Schwierig gestaltet sich noch immer die materielle Ausstattung. Unerfahrenheit, schnell steigende Preise und Rechtsunsicherheit ließen trotz großen materiellen Einsatzes durch die „Freunde“ und zahlreiche Stiftungen die meisten Renovierungs- und Bauvorhaben durch große Krisen gehen.

In Bulgarien endete im Sommer ein von den „Freunden“, der Helias Stichting und der IAO veranstalteter dreijähriger periodischer Einführungskurs in die Waldorfpädagogik. Noch immer widersetzt sich der Staat der Eröffnung einer Waldorfinitiative, aber im Herbst darf in Sofia wenigstens eine private waldorforientierte Kindergartengruppe ihren Betrieb aufnehmen.

In Moldawien, dem gegenwärtig wohl ärmsten Staat Europas, kämpft die staatliche Waldorfschule in Chisinau mit immerhin 240 Schülern weiter um ihre Existenz. Nach vorübergehenden Schwierigkeiten darf jetzt wieder bis Klasse 9 mit Waldorfelementen gearbeitet werden. Die Lehrer nehmen an den Fortbildungen in Rumänien und der Ukraine teil. Kollegen aus Bad Nauheim und Luxemburg begleiten diese „Diaspora-Einrichtung“ mit dankenswertem Einsatz.

Ukraine, Russland, Zentralasien

In der Ukraine entwickeln sich die sieben (teils staatlichen, teils privaten) Waldorfschulen unter dem Schutz eines zwölfjährigen Experimentalstatus. Er legt ihnen viel Dokumentation und Evaluierung sowie die Entwicklung ukrainischer Waldorflehrpläne auf. Zwei in Kooperation mit deutschen bzw. schweizerischen Waldorflehrern veranstaltete periodische Klassenlehrer-Ausbildungen legten den Grund für eine gute Unterrichtsqualität in den unteren Klassen. Mittel- und Oberstufenlehrer werden mit Hilfe der IAO fortgebildet. Die Renovierung und Ausstattung der Gebäude konnte mit Hilfe der „Freunde“ und anderer Stiftungen vorangetrieben werden, allerdings ergeben sich auch hier vielerorts ähnliche Schwierigkeiten wie in Rumänien.

Von Russland lässt sich in der Kürze kaum ein Bild geben. Zahlreiche Schulen kämpfen mit sehr geringen Schülerzahlen, besonders der Zugang in die ersten Klassen ist seit Jahren rückläufig. Hierfür ist wohl weniger die neue politische Eiszeit oder mangelnde Unterrichtsqualität verantwortlich, als vielmehr die mangelnde Erfahrung, autonom arbeitende Schulen ökonomisch und juristisch kompetent zu führen. Häufig schwächen sich diese kleinen Einrichtungen auch durch innere Zwistigkeiten.

Einige größere Schulen zeigen, dass sich Waldorfschulen – mit Konzessionen an die staatlich verordneten Lernziele – auch in Russland behaupten können. Vor allem Kooperationen mit wissenschaftlichen Instituten und pädagogischen Fakultäten, also die Öffnung und offensive Beteiligung am allgemeinen Bildungsdiskurs, haben neben der verbreiteten Skepsis auch ein Interesse an Waldorfpädagogik wachsen lassen. Wurden eingangs die vielen Menschen erwähnt, die sich hingebungsvoll einsetzen, gilt dies besonders für viele Lehrerinnen und Lehrer in Russland. Trotz Gehälter, die viel zu gering zum Überleben sind, geben sie einen Großteil ihrer Lebenskraft in die Schulen.

Letzteres gilt auch für die Kolleginnen in Kasachstan (Ust Kamenogorsk), Kirgisien (Bischkek) und besonders Tadschikistan (Chuschand). Diese Schulen leisten in ihren Saaten als Pioniereinrichtungen in Zusammenarbeit mit westlichen Begleitern eine begeisternde Arbeit. Sie haben all die skizzierten Schwierigkeiten vor Ort aus eigenem Geschick zu lösen und konnten dabei durchaus große Akzeptanz, teilweise sogar das Wohlwollen der lokalen Behörden erkämpfen.

Georgien, Armenien, Baltikum

In Georgien (Tiblissi) und Armenien (Jerewan) haben sich die Waldorfschulen trotz vieler Schwierigkeiten ebenfalls zu Einrichtungen entwickelt, in denen Waldorfpädagogik im Rahmen der jeweiligen Kultur zu einer eigenständigen Qualität gefunden hat.

In Litauen, Lettland und Estland mit insgesamt 12 meist kleinen Schulen werden Fortbildungen und Schulbegleitungen in Kooperation mit skandinavischen und westeuropäischen Kollegen organisiert. In Tartu (Estland) legt ein einjähriger periodischer Kurs von fast nur einheimischen Dozenten eine solide Grundlage. Oberstufen werden nur an einigen größeren Schulen aufgebaut. Zwar leben auch im Baltikum die Lehrer auf sehr bescheidenem Niveau, da aber Bildung als Zukunftssicherung gesehen wird, ist mittelfristig eine staatliche Förderung zu erhoffen.

Zusammenfassend ist anzuerkennen, wie die Waldorfpädagogik in Osteuropa im Vorschulbereich und in den unteren Klassen aus eigenen Kräften zur Entfaltung kommt. Die Lehrerbildung wird mittelfristig vor allem in der Mittel- und Oberstufe nur in internationaler Zusammenarbeit zu verwirklichen sein. Auch bei der Ausstattung und Renovierung der Schulen muss die Waldorfschulbewegung noch eine ganze Zeit ihre Solidarität beweisen. Erlebt man aber, wie aus diesen Schulen eine neue Generation mit Lebensfreude, Interesse, ästhetischem und sozialem Bewusstsein hervorgeht, darf man hoffnungsvoll in die Zukunft sehen.

M. Michael Zech

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