Eine Oase in Pristina
Der Kosovo-Krieg hinterließ – wie jeder Krieg – zahllose Opfer und seelisches Leid. Auch heute noch ist die Situation in den Dörfern und in den Städten trostlos. Wenige Projekte können Hoffnung machen. "Oasis" ist eines von ihnen.
Vor sieben Jahren forderte ein Krieg in Europa über 10.000 Opfer, machte Hunderttausende heimatlos und Tausende von Kindern zu Waisen… Etwa 80% aller Dörfer und große Teile der Städte im Kosovo wurden zerstört. Damals flohen zwei Schwestern mit einem Gummiboot über Italien in die Schweiz und machten an der Rudolf-Steiner-Schule in Solothurn (CH) eine Waldorf-Ausbildung: Florije und Fatmire Terdevci.
Als sie im Herbst 1999 in ihre Heimat zurückkehrten, übertrafen die Zerstörungen und auch die seelischen Verletzungen der Menschen all ihre Befürchtungen. Alle, ob sie in den Dörfern geblieben oder geflohen waren, alle hatten schreckliche Geschichten zu erzählen. Viele suchten monatelang nach ihren Lieben. Fast sieben Jahre nach dem Krieg sind es Tausende, die niemals heimkehrten…

Familien aus den Dörfern flohen vor der Winterkälte in die Städte und suchten dort nach Schutz. Die Hilfsorganisationen taten ihr Bestes, um die Häuser wieder aufzubauen, doch alles ging langsam. Strom gab es fast den ganzen Tag nicht, Heizung nicht und vielfach auch kein Wasser. Das Schlimmste aber waren die Kriegserlebnisse der Menschen. Gerade die Kinder und ihr Verhalten zeigten die Wunden unmittelbar. Während die Erwachsenen nach Arbeit oder nach Holz zum Heizen suchten, waren die Kinder sich selbst überlassen. Viele gingen nicht in die Schule. Die Bevölkerung in den Städten hatte sich durch die Flüchtlinge verdreifacht. Die Schulen arbeiteten in vier oder fünf Schichten, aber selbst das half nicht.
Anfang aus dem Nichts
Florije und Fatmire begannen, in einem kleinen Raum in der Hauptstadt Pristina mit Unterstützung der Acacia (CH) das Projekt "Oasis". Sie arbeiteten mit einigen Kindern am Morgen und mit Englischschülern am Nachmittag. Die meisten Kinder stammten aus den Dörfern. Das Spielen und Malen half ihnen, das Trauma des Krieges zu überwinden. Ein vierjähriger Junge, Besi, sprach monatelang kein Wort. Er erlebte die Exekution von Männern aus seinem Dorf… Zu Beginn wusste Florije nicht einmal, ob er überhaupt zuhörte, denn er saß immer nur in der Ecke und schaute stumm auf die anderen Kinder. Es dauerte lange – aber nach zwei Jahren wurde Besi ein fröhliches Kind. Bald wollten mehr und mehr Eltern ihre Kinder bringen, die alle ähnliches durchgemacht hatten.
Im Sommer 2001 zog "Oasis" in größere Räumlichkeiten um. Bald kannte die ganze Umgebung das Projekt, sogar die Taxifahrer, denn es gab keine Straßennamen.
Im Kosovo ist das Vorschul-System und die Ausbildung dazu noch im Aufbau. Seit Sommer 2001 leitet die Schweizer Waldorfpädagogin Beatrice Rutishauser die praktische Aus- und Fortbildung weiterer Erzieherinnen – im Auftrag des Institut für Praxisforschung (IPF, Schweiz) und der Pädagogischen Sektion am Goetheanum. Die Erzieherinnen lernen nicht nur viel über die Waldorfpädagogik im allgemeinen, sondern auch über die Arbeit mit traumatisierten Kindern oder über Elternarbeit. Die Eltern werden eng einbezogen, können das Spielgelände gestalten, oder helfen mit anderen praktischen Aufgaben.
Die Arbeit trägt Früchte
Inzwischen gibt es außer "Oasis" auch in der Stadt Drenas und drei umliegenden Dörfern Kindergärten, die von Caritas Schweiz mitfinanziert wurden. Alle Initiativen werden vom "Oasis"-Kindergarten aus pädagogisch begleitet.
Mit Hilfe von Frau Rutishauser brachte sich "Oasis" auch sehr aktiv in verschiedene Arbeitsgruppen und Netzwerke ein, die sich um vorschulische Bildungsfragen kümmern. Jetzt bat auch das Bildungsministerium die Schweizerin um Hilfe bei der Fortbildung von PädagogInnen! Die Fragen zeigen die Not – zum Beispiel: Was kann man spielen ohne Material? Wie kann man mit Kindern umgehen, die nicht sprechen...
"Oasis" selbst hat eine ständige Warteliste interessierter Eltern. Dieses Jahr beginnen wir mit einer weiteren Gruppe. Da wir jetzt einen Generator haben, können die Englisch-Stunden abends stattfinden – bei elektrischem Licht.
Bis heute können im Kosovo nur 20% aller Kinder einen Kindergarten besuchen – meist private Einrichtungen, die die wenigsten Eltern bezahlen können. Über 60% der Familien sind arbeitslos. Wer Arbeit hat, verdient im Durchschnitt 170 Euro, ein Platz im Kindergarten kostet etwa die Hälfte… Bei "Oasis" zahlen die Eltern zwei bis zehn Euro, manche können gar nichts aufbringen.
Unsere Eltern sind glücklich. Die Spiele, das Malen und Singen, die Geschichten und die Handarbeiten bereiten die Kinder nicht nur auf die Schule und ihr künftiges Leben vor. Sie heilen auch ihre Seele.
Die Menschen im Kosovo sorgen sich immer mehr um ihre unsichere Zukunft. Noch immer fällt täglich der Strom aus, die meisten Menschen in den Dörfern haben kein Trinkwasser, die Fabriken sind geschlossen, die Menschen arbeitslos oder sehr schlecht bezahlt, die Schulen oft geschlossen, weil die Lehrer für ausreichende Löhne streiken oder weil es keine Heizung gibt oder abends kein Licht. Sieben Jahre nach dem Krieg…
"Oasis" ist eine unendlich kostbare Oase in Pristina. Um sie nachhaltig zu sichern, soll nun das Kindergarten-Gebäude mit Hilfe von Spenden gekauft werden!
Fatmire Terdevci (übers. hn)