Aus der Arbeit der Freunde der Erziehungskunst
Was nach dem PISA-Schock hierzulande gefordert wird, nämlich Kompetenzbeschreibungen statt fixierter Lehrpläne, ist in den Waldorfschulen längst Praxis. Doch solche zukunftsorientierte Rahmenrichtlinien sind politisch überall schwer durchzusetzen. Wir brauchen aber Schulen, in denen das Kindeswohl nicht nur proklamiert, sondern gelebt wird - eine tägliche Herausforderung. Wie unterschiedlich Waldorfpädagogik in einzelnen Schulen lebt, wurde auf den letzten Reisen wieder deutlich.
Tansania
Im Herbst besuchte ich aufgrund ihrer unsicheren Situation dieHekima Schule in Dar es Salaam. Sie hat bisher keine offizielle Genehmigung, weil sie dazu eigenes Land braucht. Da die Behörden nun sogar mit Schließung drohten, musste zügig Abhilfe geschaffen werden.
Die engagierten Eltern hatten bereits ein auf einem Hügel gelegenes Grundstück in der Nähe der Universität gefunden. Hier gibt es zwar nur befestigte Wege, die solange gut zu befahren sind, wie es nicht regnet. Aber die Stadt wächst, und auch dieser Stadtteil soll eine asphaltierte Strasse bekommen.

Das mittlerweile durch ein zinsloses Darlehen der Freunde der Erziehungskunst erworbene Grundstück ist mit Kokospalmen und Ananas bewachsen und kann leicht Wasser- und Stromanschluß bekommen. Eltern und Lehrer sehen hier große Entwicklungschancen, zumal die Schule bisher in einer Industriezone untergebracht ist und kaum ein Kind allein zur Schule gehen darf. Die "Freunde" helfen auch, die Ausbildung der Lehrer in Nairobi zu finanzieren (S. 8).
Angeregt durch das Beispiel der Hekima Schule entstand im Armenviertel Kawe ein Kindergarten. Kawe hat 80% Arbeitslosigkeit mit der entsprechenden Hoffnungslosigkeit, Alkoholismus etc. - Folgen der Privatisierung der Industrie. Alle Beteiligten wünschen sich eine Schule, was aber viel schwieriger wird. Wir werden auch hier helfen, sobald die Rahmenbedingungen geklärt und entwicklungsfähige Verhältnisse geschaffen sind.
Reise durch Zentralasien
Ebenfalls im Herbst besuchte ich mit Michael Zech (IAO) Zentralasien: Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan.
Ust Kamenogorsk liegt im Osten Kasachstans kurz vor China. Kasachen, Russen, Deutsche und Koreaner bewohnen die Stadt – und beleben auch das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium, wie die dortige Waldorfschule offiziell heisst. Sie ist staatliches Gymnasium, Waldorfschule und Deutsche Sprachdiplomschule in einem. Viele Eltern schicken ihre Kinder gern in eine fremdsprachige Schule. Wer die 11. Klasse mit einem deutschen Sprachdiplom beendet, kann anschließend auch in Deutschland studieren – und das eröffnet große Möglichkeiten.
Seit vielen Jahren wird die Schule von einem Ehepaar aus Göppingen begleitet: Frau Bader hilft bei der Erarbeitung der Waldorfpädagogik, ihr Mann beim Bau. Bei der Aufstockung des zweistöckigen Gebäudes um einen Mehrzwecksaal helfen auch wir schon seit einigen Jahren, ohne bisher genügend Mittel für die Fertigstellung gefunden zu haben.
In lebhaften Gesprächen mit den Oberstufenschülern begegneten wir reifen jungen Menschen, die später tatkräftig mitwirken wollen, die ökologischen und sozialen Herausforderungen im Land mit zu meistern.
In Bischkek (Kirgisien) besuchten wir das Zentrum Nadjeschda. Dessen heilpädagogische Pionierarbeit für eine andere Gesinnung gegenüber Menschen mit Behinderungen hat inzwischen im In- und Ausland große Anerkennung gefunden (wir berichteten mehrfach). Mit großer Bewunderung sahen wir, wie quasi aus dem Nichts eine in kleinen Einrichtungen über die Stadt verteilte hingebungsvolle Arbeit aufgebaut worden ist: von Kindergarten über Schule bis zur medizinischen Versorgung und Berufsbildung. Inzwischen entstand auf Drängen der Mitarbeiter auch eine kleine Waldorfschule mit Kindergarten und erster Klasse.
Auf abenteuerliche Weise fuhren wir zuletzt nach Tadschikistan. Es galt, Usbekistan zu umgehen, für das wir kein Visum hatten. So lernten wir auf Sandpisten die zentralasiatische Steinwüste und die Ausläufer des Tien Shan und Altai kennen. Ziel unserer Reise war Khudschand, die alte Oasenstadt im Ferganatal, in das schon Alexander der Große gezogen war. Heute gibt es hier eine Waldorfschule mit mittlerweile vier Klassen. Ihre Lehrer wurden wie jene aus Ust-Kamenogorsk in Deutschland ausgebildet.
Begeistert kamen die Schüler, als sie uns sahen, spätabends aus den Häusern gelaufen und zeigten uns ihre Schule, die Klassenzimmer mit den von Eltern selbstgebauten Heizungsrohren. Wir begegneten beeindruckenden Lehrerpersönlichkeiten, die auf völlig einsamem Posten mit großer Geduld und überzeugender Klarheit für eine andere Erziehung kämpfen.
Solche Eindrücke sind kostbare Perlen. Die Begeisterung für die Waldorfpädagogik erhält in der Begegnung mit diesen Pionieren neue Nahrung. Und in der Begegnung mit den Kindern und Jugendlichen wächst die Gewissheit, dass es sich lohnt, sich für diese Pädagogik einzusetzen.
Das tun wir auf vielfältige Weise, unter anderem durch Kooperation mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). 2005 konnten Bauprojekte in Kathmandu (Nepal) und Nairobi (Kenia) abgeschlossen werden, neue Anträge für zwei Schulen in Südafrika sind genehmigt, weitere in Vorbereitung, so für die heilpädagogische Arbeit in Lahore (Pakistan), Hué (Vietnam) und Beirut (Libanon). Wir sind sehr dankbar, dass wir so in einem Umfang helfen können, der uns sonst verschlossen bliebe. Dankbar sind wir auch den ehrenamtlichen Mitarbeitern, die diese Arbeit tragen.
Insgesamt ist die Tätigkeit in Umfang und Größe weiter gewachsen, sowohl bei der Projektfinanzierung als auch bei den Freiwilligendiensten. Eine Zukunft, in der die Förderung ausländischer Schulen und Einrichtungen nicht mehr nötig sein wird, bleibt wohl noch für lange Zeit Utopie.
Nana Göbel