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„Die Eltern bemerken langsam einen Unterschied“

Nachdem im Herbst 2002 Vietnams erster Waldorfkindergarten in Ho-Chi-Minh-Stadt eröffnet hatte (siehe Rundbrief Frühjahr 2003), folgte bereits ein Jahr später der Kindergarten Thanh Lan („schöne Orchidee“) 30 km nördlich der Stadt. Thanh Cherry begleitet auch diesen regelmäßig.

Der Taxifahrer schaut kurz auf die Karte und ist schon bald auf den holprigen Wegen des ländlichen Distrikts Cu Chi. Vor einer kleinen rosafarbenen Villa und einem von gelben Blumen bedeckten Tor hält er an. „Das ist hier falsch“, protestiere ich, „können Sie klingeln und nach dem Weg fragen?“. Er tut es – und nach kurzer Zeit öffnet Lan das Tor mit einem breiten Lächeln. Bei meinem letzten Besuch vor fünf Monaten gab es noch keine Mauer, kein Tor, keine Blumen...

Sofort bemerke ich auch, wie verändert die Atmosphäre ist: warm, erfüllt mit Substanz. Mir fallen die ersten Monate wieder ein, als die kleinen Kinder noch viel weinten... Sie vermißten ihre Mütter - und bemerkten auch die Unsicherheit ihrer Eltern.

Was war das für ein besonderer Kindergarten mit schönen rosa Wänden, altmodischen Holzmöbeln und natürlichem Spielzeug, das nicht wie das Plastik in den Geschäften oder anderen Kindergärten war? Die liebevollen Erzieherinnen verdienten praktisch kein Geld, verglichen mit anderswo. Nur deshalb konnten die armen Eltern ihre Kinder bringen! Doch wo war der Haken – wie konnte jemand so großzügig sein für nichts?

Liebevolle Atmosphäre

Lan ließ sich nicht beirren. Sie hatte bereits 25 Jahre Berufserfahrung und ein Herz aus Gold. Unterstützt von ihrer Kollegin Thanh (und einer anderen Thanh als Köchin), ging sie ruhig und liebevoll mit den Kindern um, nahm sie in ihre Arme, trocknete Tränen und sang Lieder. Langsam sammelten sich die Kinder um sie im Kreis und begannen schüchtern zu singen, während sie ihre Fingerspiele nachahmten. Ein so berührender Anblick! Mit noch tränennassen Gesichtern schauten die Kinder auf, um Lan´s Mund zu sehen, dann hinab zu ihren Fingern, dann zu ihren eigenen Händen, die die gleichen Gesten probierten...

Für all diese Erinnerungen habe ich nur einen kurzen Moment Zeit, denn schon erkennen mich die Kinder. „Tante Thanh, Tante Thanh!“ rufen sie, stürmen vorwärts, umarmen mich und kuscheln sich in meine Arme.

Gerade haben sie ihr Morgenfrühstück beendet. Nun reihen sie ihre Hausschuhe neben der Tür auf – und mit Jubel und Sonnenhüten geht es zu Sandkiste, Schaukel, Wippe und Rutsche. Das kleine Außengelände beschirmen drei Jackfruchtbäume, die jetzt von großen gelb-grünen Früchten beladen sind. Wenn ihr goldenes Innere reif ist, gibt es für die Kinder nichts Köstlicheres...

Little Vu, der noch vor sechs Monaten an einer schweren Hautkrankheit litt und fünfmal am Tag geduscht werden mußte, ist gesund und glücklich. Er spielt die ganze Zeit mit Sand, schaufelt ihn in einen Eimer, trägt Wasser herbei, mischt, knetet und formt ein Dutzend Formen auf der Veranda. Zwei kleinere Mädchen, deren Hüte fast ihre Augen bedecken, sitzen Arm in Arm auf der Schaukel. Lan stellt sich hinter sie, richtet ihre Hüte und gibt ihnen einen leichten Schubs – vergnügtes Kichern...

Ein vielleicht fünfjähriges Mädchen kommt und setzt sich traurig neben mich.Ich frage sie, warum sie nicht spielt. „Ich vermisse meine Mutter“, sagt sie. So sitzen wir, ihre Hand in meiner, unter den Bäumen. Später erzählt mir Lan, daß das Mädchen bei ihr im Kindergarten wohnt. Der Vater verschwand, und die Mutter muß weit weg Gemüse verkaufen und kann sie immer nur am Wochenende abholen. Jetzt war gerade Montag...

Von früh bis spät

Lebensumstände und auch kulturelle Traditionen machen die Zeit hier überhaupt sehr flexibel. Manche Kinder kommen zu so frühen Zeiten wie 5 Uhr morgens, obwohl der offizielle Beginn „erst“ 6 Uhr ist. Abholzeit ist um 17 Uhr, aber oft wird es 18 Uhr, bis das letzte Kind gegangen ist. Nicht mitgezählt eines oder zwei, die am Ende sogar übernachten müssen...

Nach so einem frühen Beginn wird um 10 Uhr gefrühstückt. Ja, das Essen... Die Regierung schreibt vor, daß jedes Kind täglich so und so viel Fleisch, Fisch, Eier usw. zu sich nimmt. Erzieherinnen und Eltern wird die Angst eingetrichtert, daß die Kinder sonst an Gewicht verlieren und dahinkümmern. Auch in unserem Kindergarten wurde am Anfang gefüttert – und viele Kinder schrien beim Anblick von Essen. Heute lieben alle die Mahlzeiten und nur die Kleinsten können noch nicht selbst essen.

Nachdem die Teller abgeräumt sind, machen sich die Kinder fertig für das Bett. Sie versammeln sich um Lan für ein Puppenspiel, dann werden die Vorhänge zugezogen, die Stimme einer Erzieherin singt noch leise, dann ist alles ruhig... Die Mittagszeit dauert bis zu drei Stunden! Am Nachmittag spielen die Kinder und die Erzieherinnen malen, kneten und basteln mit ihnen.

Die Eltern – selbst benachteiligt und ohne Bildung – bemerken an ihren Kindern langsam einen Unterschied zu anderen. Sie bemerken, daß ihre Kinder glücklicher sind, gesünder, weniger anstrengend, kindlicher – sie können selbst spielen... Die Eltern waren neugierig und interessiert, was die Erzieherinnen denn tun – und warum. So begannen die Erzieherinnen, auf Treffen mit den Eltern über die Pädagogik zu sprechen. Und so geht die Waldorfpädagogik in Vietnam ihre ersten Schritte.

Thanh Cherry (übersetzt hn)

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