„...und plötzlich malte sie einen Regenbogen“
Constanze Chan arbeitet in Hongkong seit drei Jahren künstlerisch mit Kindern und macht viele Workshops für Eltern. Der Name ihrer Initiative ist „Evera“ – ein altes Wort für Frühling, das hier aber auch ein Erwachen in den Seelen meint.
In Hongkong für die Waldorfpädagogik zu wirken ist wie Arbeit in einer spirituellen Wüste. Die herrschende Meinung will „Ergebnisse“ – und verliert den Prozeß, wie etwas ins Leben kommt. Manche Eltern schicken ihre Kinder bereits mit sechs Monaten in den Kindergarten, schon vor der Schule gibt es verschiedensten Unterricht.
Wir wollen den Kindern einen Sinn für Rhythmus und reale Lebenserfahrungen vermitteln. Bei einem Projekt erleben sie den ganzen Prozeß. Wir arbeiten auf das Erwachen künstlerischer Empfindung und kreativer Fähigkeiten hin. Die Liebe zum Schönen hilft der Seele des Kindes auch, den Sinn für Wahrheit und ein Gefühl für das Gute zu bilden.

Wie tief die Kinder in einen Prozeß eintauchen! Zum Beispiel in die archetypischen Bewegungen beim Wolle wickeln und Weben. Hierdurch finden sie auch ihr inneres Gleichgewicht.
Da gab es einen kleinen, immer schnell abgelenkten Jungen. Er konnte mit seinem Webrahmen fünf Wochen kaum etwas anfangen, und ich gab ihm ein Malbrett zum abschmirgeln. Plötzlich kam ein Tag, wo er Wolle aufwickeln wollte –16 kleine Knäuel. In der Woche danach machte er die ganze Webarbeit fertig...
Wunderbare Erfahrungen mache ich auch mit meinen Geschichten. Welch eine Freude, wie die Kinder in die Bilder eintauchen!
Ein fast sechsjähriger Junge hatte es schwer als „großer Bruder“, er war sehr angespannt und malte unordentlich. Ich erzählte ihm von einem kleinen Lamm, das eifersüchtig auf seine neu geborene Schwester war, bis es bei einem Feuer entdeckte, wie innig es sie liebte. Der Junge war tief berührt und malte ein wunderschönes Bild. Danach wurde er viel ruhiger.
Ein Mädchen sagte mir nach ihren Naß-in-Naß-Bildern immer, daß die Farben kämpften oder stritten, egal welche Geschichten ich vorher erzählt hatte. Aber sie liebte es, mit den Farben zu spielen – spritzen, auf das Papier gießen, Experimente aller Art. Eines Tages malte sie wieder rote streitende Farben, doch am Ende sagte sie, sie wären nun glücklich zusammen. In der Woche danach malte sie einen wundervollen Regenbogen. Und dann tauchten regelmäßig Regenbogen, Sterne und die Sonne aus ihren Bildern auf...
Die Eltern erzählen mir in den Arbeitsgruppen, daß sich auch ihnen ein neues Fenster öffnet, durch das sie ihre Kinder ganz anders wahrnehmen. Die Früchte der Waldorfpädagogik reifen in Hongkong langsam, aber sie reifen.
Constanze Sinmei Chan (übersetzt hn)