Heilendes in einem Land der Gegensätze
Als Wolfgang Spittler, ein eng mit der Anthroposophie verbundener deutscher Geschäftsmann in Peru, die Notwendigkeit erkannte, hier eine kleine Schule für seelenpflegebedürftige Kinder zu gründen, entstand 1989 mit Hilfe von Freunden aus Peru, Deutschland und der Schweiz „San Christoferus“.
Die Vorbereitung für die „Geburt“ der Schule dauerte einige Jahre. Zunächst gab es Kurse und Seminare für die südamerikanischen Lehrkräfte (die nachher nicht nur in Peru als Heilpädagogen arbeiteten), und einige LehrerInnen gingen auch für einige Monate zur Fortbildung nach Europa und Amerika.

Herr Spittler ermöglichte durch eine Stiftung den Bau des ersten Schulgebäudes im Südwesten von Lima, im Stadtteil Chorillos. Am 27. März 1989 war der erste Schultag für 9 Kinder und drei Lehrer. Zwei Jahre später wurde der Bau eines weiteren Schulgebäudes verwirklicht. Die Schülerzahl stieg und die Schule gewann an Erfahrung.
Wie bei allen Pionierarbeiten waren die ersten Jahre nicht einfach und die Schule mußte verschiedene interne Probleme überwinden. Dazu kamen die großen externen Probleme, z.B. die ständige chaotische Situation des Landes, dessen korrupte Regierungen ironischerweise immer wieder die Ärmsten vernachlässigen und den Enthusiasmus und die Willenskraft zahlloser Menschen lähmen. Letztlich aber trugen alle Probleme dazu bei, daß die Schule stärker wurde und an eigener Identität gewann.
Nach 15 Jahren hat sich auch das Äußere der Schule merklich geändert. Aus einer sandigen Fläche mit zwei Schulgebäuden ist eine Einrichtung geworden, die ihren SchülerInnen ein wenig Natur inmitten der grauen Stadt anbieten kann. Und die Lehrer wissen, daß dies therapeutisch wirkt. Ein Praktikant schreibt:
„Wenn man das große, hölzerne Eingangstor des Colegio San Christoferus morgens hinter sich gelassen hat, hat man auch Lima hinter sich gelassen. Auf dem weiten Schulgelände fällt der Blick sofort auf das viele Grün, den Gemüsegarten, die Bäume, die bunten Blumen, und auf die vielen neugierigen, lachenden Gesichter. Autoabgase, Hupen, Hektik und dürre Sandflächen sind vergessen. Man sieht vielen Kindern an, wie froh sie sind, in der Schule zu sein.“
Zur Zeit gehen 30 SchülerInnen zur Schule „San Christoferus“, die sieben Klassen umfaßt: einen Kindergarten, je zweimal Unterstufe und Vorwerkstufe sowie zwei Werkklassen (Bäckerei und Biogarten). Die Familien der Kinder gehören den verschiedensten sozialen und kulturellen Schichten an. In Peru, und vor allem in Lima, spielen diese Klassenunterschiede eine große Rolle, denn leider herrscht ein starker Rassismus. Doch in unserer Schule bleibt dies alles außerhalb der Tore.
Eine unserer ehemaligen Praktikantinnen hat dies so ausgedrückt:
„Lima ist voller Gegensätze. Elf Millionen Menschen, die Hälfte der Gesamtbevölkerung Perus, leben in dieser Küstenstadt mitten in der Wüste. Reiche Villenviertel inmitten von künstlich angelegten Parks stehen im krassen Gegensatz zu den Favelas, die nicht nur im Wüstensand, sondern auch in Müllbergen versinken.
In Lima werden die Gegensätze des Landes am deutlichsten: Weisse, Latinos und die indigene Bevölkerung wohnen dicht beisammen, doch sie leben ihr eigenes Leben, es gibt kaum Berührungspunkte. Der weisse Geschäftsmann, der in seinem klimatisierten Taxi zur Arbeit fährt, trifft nur an den belebten Straßenkreuzungen auf den Indio, der ihm eine Cola verkauft, die er mühsam in selbstgebastelten Styroporbehältern kühl zu halten und durch die Automassen zu balancieren sucht, um seine Familie zu ernähren. Die sozialen Unterschiede werden noch verstärkt durch unzählige private Schulen, Unis und Krankenhäuser, die wesentlich besser ausgestattet sind als die staatlichen."
Doch in „San Christoferus“ treffen Familien aus unterschiedlichsten sozialen Schichten aufeinander, und das Einzige, was anfangs verbindet, sind die Kinder, die alle eine ganz besondere Zuwendung benötigen.
Eines von ihnen ist Alice, ein sehr lebhaftes mongoloides Mädchen. Sobald sie aus dem Sammeltaxi aussteigt, schafft es dieser kleine Spaßvogel, alle zum Lachen zu bringen, obwohl sie nicht sprechen kann. Besonders liebt sie das Musizieren. Dann konzentriert sie sich ganz auf die rhythmische Begleitung mit Rasseln. Mit ihrem Gesicht und wiegenden Kopfbewegungen drückt sie aus, was sie mit Worten nicht singen kann.
Die Kinder lieben ihre Schule – und natürlich ganz besonders ihre Höhepunkte. Da wird mit strahlenden Augen ein Theaterstück vor den gerührten Eltern oder in der Waldorfschule aufgeführt; da werden sie bald wieder zu Michaelsrittern geschlagen; im Oktober – dem Monat des behinderten Menschen in Peru – werden sie wieder an einer Olympiade teilnehmen.
Die Lehrer sind sich bewußt, daß es noch viele Hindernisse zu überwinden gilt: Die Schule hängt weiter von Spenden aus dem Ausland ab, obwohl schon seit Jahren der Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit besteht. Vor drei Jahren mußten angesichts der Wirtschaftslage die Gehälter halbiert werden, um überhaupt weitermachen zu können.
So ist der Fortbestand der Schule an sich schon ein großer Erfolg, und an dieser Stelle wollen wir, die LehrerInnen von „San Christoferus“ allen Menschen und Einrichtungen danken, die dies bis jetzt möglich gemacht haben.
Fernando Zamora, Lehrer der 7. Klasse