Das jüdisch-arabische Projekt der Waldorfschule Harduf
Die Begegnung zwischen jüdischen und arabischen Menschen – leidgeprüft, vermieden, gefürchtet, ersehnt... – Die Waldorfschulen in Jerusalem und Harduf tragen mit viel Engagement ihren Teil zur Überwindung der inneren Mauern bei. Über die Initiativen aus Harduf berichtet der folgende Artikel.
Seit meiner Jugend mit Israel verbunden, führt mich mein Weg jedes Jahr zweimal dorthin, um Familienmitglieder oder Freunde zu besuchen und bei der Gestaltung des Waldorfimpulses mitzuwirken. An der Waldorfschule Harduf sucht und findet man seit mehreren Jahren Möglichkeiten, um Wege zu den arabischen Mitmenschen zu bauen.

Das berufsbegleitende Lehrerseminar arbeitet im zweiten Jahr und hat insgesamt 23 arabische Studentinnen und Studenten (christlich und moslemisch!). Daß die Dozenten in diesem Jahr einen bescheidenen „Lohn“ für ihren unermüdlichen Einsatz erhalten können, ist allein das Verdienst vieler einzelner Spender.
Beginn im September
Im September wird in Hardufs Nachbarstadt Shefar´am der erste arabische Kindergarten eröffnen. Die Studenten des dritten Jahres werden dort dann auch ihr Praktikum absolvieren können. Die Betreuung übernimmt eine erfahrene Waldorfkindergärtnerin vor Ort, die schon seit Jahren mit ihren Kolleginnen der arabischen Nachbarorte zusammenarbeitet.
Der Kindergarten wird seine Unterkunft in einer großen Schule mit fast 1000 Kindern haben. Ihr Direktor Mazan Ayoub hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, seinen Mitmenschen den Impuls einer humanistischen, Grenzen überschreitenden Bildung nahezubringen. Sein Anliegen ist nicht, daß andere „seinen“ Gedanken folgen (in der arabischen Kultur ist die Autorität eines Schulleiters Gesetz), sondern daß die je eigenen Fragen, Bedürfnisse, Hoffnungen und Träume der Menschen selbst Leitfaden und Wegbereiter für künftige Entwicklungen sind.
Mazan Ayoub durchbricht alte Traditionen und ist sich dessen klar bewußt. Auf mich wirkte er im Gespräch wie eine Lichtgestalt inmitten der durch permanente Bedrohung und Diskriminierung verunsicherten Menschen (der israelische Staat behandelt seine arabischen Bürger immer noch wie Menschen zweiter Klasse).
Die Öffentlichkeitsarbeit der jüdisch-arabischen Initiative ist voll im Gang. Alle Beteiligten veranstalten Treffen, Ausflüge und gemeinsame Mahlzeiten, um mit potentiellen Eltern in Kontakt zu kommen. Diese Arbeit ist von unschätzbarem Wert, legt sie doch Keime für die Zukunft: das seit Jahrzehnten andauernde Mißtrauen ist tief in die Gemüter der Menschen eingedrungen – nur durch die soziale Kunst des behutsamen Aufeinanderzugehens werden die Vorurteile und Schutzpanzer allmählich wieder aufgelöst werden können.
Die bisherige Friedensarbeit
Die vergangenen Aktivitäten des Miteinanders jüdischer und arabischer Schüler sind beachtlich. Im letzten Sommer führte die 8. Klasse aus Harduf ihr Klassenspiel „König Salomon und Shalmei, der Schuhmacher“ in Shefar´am vor begeisterten arabischen Schülern auf. Die 12. Klasse berichtete von zahlreichen Projekten mit ihren arabischen Altersgenossen während der vergangenen Jahre. Es gab Workshops über die Themen „Wut“ und „Angst“ oder religiöse Strömungen, zu denen sie jeweils einen Rabbi, Priester oder Imam eingeladen hatten. Viele Ausflüge in die Natur runden die Gemeinschaftsbildung dieser Jugendlichen ab.
„Und dennoch – obwohl wir uns von Herzen alle mühen und einen wirklich guten Kontakt aufbauen konnten – ist es unsäglich mühsam, die jahrzehntelang gewachsenen Mauern aus Mißtrauen, Angst und Vorurteilen langsam abzubauen“, berichtete mir Sharon Ivri, die Klassenbetreuerin.
Vor kurzem kam es zu einem unerwarteten Geschenk vor Ort: eine in Israel gastierende Gruppe englisch-schottisch-irischer Sängerinnen lud spontan zu einem „keltischen Cafe“ ein, sang mehrstimmige Folklorelieder aus ihrer Heimat, bewirtete ihre Gäste mit Selbstgebackenem – und spendete den Erlös freudig der jüdisch-arabischen Initiative.
Als der Geschäftsführer der Waldorfschule in Harduf mir bewegt von diesem Ereignis erzählte, fügte er hinzu, daß es für die Eröffnung des Kindergartens gleichwohl noch großer Anstrengungen bedarf: die Räume müssen hergerichtet, die Wände gestrichen und lasiert, der Garten angelegt, Möbel und Spielzeug angefertigt werden. Das alles kostet Geld...
Die künftigen Eltern erleben zwar, daß dieser Weg hin zu einem friedlichen Miteinander ein „Lichtweg“ ist, können aber kaum einen eigenen Beitrag aufbringen. Meist reicht ihr Einkommen gerade aus, um die Familie zu ernähren (ein gut situierter Lehrer verdient etwa 1000 Euro). So wird für die jüdisch-arabische Begegnung vieles von der Hilfe aus der übrigen Welt abhängen.
Annette Wälz-Brink